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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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War er von einem solchen wohlgelungenen
Abenteuer zurückgekommen, so schmeckte ihm das
Essen doppelt gut und die Seinigen erfreuten
sich dann einer heitern Stimmung. Eines Tages
aber war es ihm doch begegnet, daß er, statt
welche auszutheilen, beträchtliche Schläge selbst
geärntet hatte, und als er voll Scham, Ver¬
druß und Wuth nach Hause kam, hatte Esther¬
chen, welche den ganzen Tag gesponnen, dem
Gelüste nicht widerstehen können und sich noch
einmal über das für Pankraz aufgehobene Essen
hergemacht und davon einen Theil gegessen, und
zwar, wie es ihm vorkam, den besten. Traurig
und wehmüthig, mit kaum verhaltenen Thränen
in den Augen, besah er das unansehnliche kalt
gewordene Restchen, während die schlimme Schwe¬
ster, welche schon wieder am Spinnrädchen saß,
unmäßig lachte.

Das war zu viel und nun mußte etwas
Gründliches geschehen. Ohne zu essen ging Pan¬
kraz hungrig in seine Kammer, und als ihn am
Morgen seine Mutter wecken wollte, daß er doch
zum Frühstück käme, war er verschwunden und
nirgends zu finden. Der Tag verging, ohne

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 2

War er von einem ſolchen wohlgelungenen
Abenteuer zurückgekommen, ſo ſchmeckte ihm das
Eſſen doppelt gut und die Seinigen erfreuten
ſich dann einer heitern Stimmung. Eines Tages
aber war es ihm doch begegnet, daß er, ſtatt
welche auszutheilen, beträchtliche Schläge ſelbſt
geärntet hatte, und als er voll Scham, Ver¬
druß und Wuth nach Hauſe kam, hatte Eſther¬
chen, welche den ganzen Tag geſponnen, dem
Gelüſte nicht widerſtehen können und ſich noch
einmal über das für Pankraz aufgehobene Eſſen
hergemacht und davon einen Theil gegeſſen, und
zwar, wie es ihm vorkam, den beſten. Traurig
und wehmüthig, mit kaum verhaltenen Thränen
in den Augen, beſah er das unanſehnliche kalt
gewordene Reſtchen, während die ſchlimme Schwe¬
ſter, welche ſchon wieder am Spinnrädchen ſaß,
unmäßig lachte.

Das war zu viel und nun mußte etwas
Gründliches geſchehen. Ohne zu eſſen ging Pan¬
kraz hungrig in ſeine Kammer, und als ihn am
Morgen ſeine Mutter wecken wollte, daß er doch
zum Frühſtück käme, war er verſchwunden und
nirgends zu finden. Der Tag verging, ohne

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 2
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[17/0029] War er von einem ſolchen wohlgelungenen Abenteuer zurückgekommen, ſo ſchmeckte ihm das Eſſen doppelt gut und die Seinigen erfreuten ſich dann einer heitern Stimmung. Eines Tages aber war es ihm doch begegnet, daß er, ſtatt welche auszutheilen, beträchtliche Schläge ſelbſt geärntet hatte, und als er voll Scham, Ver¬ druß und Wuth nach Hauſe kam, hatte Eſther¬ chen, welche den ganzen Tag geſponnen, dem Gelüſte nicht widerſtehen können und ſich noch einmal über das für Pankraz aufgehobene Eſſen hergemacht und davon einen Theil gegeſſen, und zwar, wie es ihm vorkam, den beſten. Traurig und wehmüthig, mit kaum verhaltenen Thränen in den Augen, beſah er das unanſehnliche kalt gewordene Reſtchen, während die ſchlimme Schwe¬ ſter, welche ſchon wieder am Spinnrädchen ſaß, unmäßig lachte. Das war zu viel und nun mußte etwas Gründliches geſchehen. Ohne zu eſſen ging Pan¬ kraz hungrig in ſeine Kammer, und als ihn am Morgen ſeine Mutter wecken wollte, daß er doch zum Frühſtück käme, war er verſchwunden und nirgends zu finden. Der Tag verging, ohne Keller, die Leute von Seldwyla. I. 2

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/29>, abgerufen am 21.11.2024.