daß er kam, und eben so der zweite und dritte Tag. Die Mutter und Estherchen geriethen in große Angst und Noth; sie sahen wohl, daß er vorsätzlich davon gegangen, indem er seine Hab¬ seligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬ ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬ los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken, und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬ krazius verschwunden war und blieb, ergaben sie sich mit trauriger Seele in ihr Schicksal, das ihnen nun doppelt einsam und arm erschien.
Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen, die man liebt, jetzt stehn und gehn, wenn eine solche Stille darüber durch die Welt herrscht, daß allnirgends auch nur der leiseste Hauch von ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, sie sind da und athmen irgendwo.
So erging es der Mutter und dem Esther¬ lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre, einen Tag wie den andern, und sie wußten nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig sei. Das war ein langes und gründliches Schmollen und Estherchen, welches eine schöne Jungfrau
daß er kam, und eben ſo der zweite und dritte Tag. Die Mutter und Eſtherchen geriethen in große Angſt und Noth; ſie ſahen wohl, daß er vorſätzlich davon gegangen, indem er ſeine Hab¬ ſeligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬ ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬ los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken, und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬ krazius verſchwunden war und blieb, ergaben ſie ſich mit trauriger Seele in ihr Schickſal, das ihnen nun doppelt einſam und arm erſchien.
Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen, die man liebt, jetzt ſtehn und gehn, wenn eine ſolche Stille darüber durch die Welt herrſcht, daß allnirgends auch nur der leiſeſte Hauch von ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, ſie ſind da und athmen irgendwo.
So erging es der Mutter und dem Eſther¬ lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre, einen Tag wie den andern, und ſie wußten nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig ſei. Das war ein langes und gründliches Schmollen und Eſtherchen, welches eine ſchöne Jungfrau
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0030"n="18"/>
daß er kam, und eben ſo der zweite und dritte<lb/>
Tag. Die Mutter und Eſtherchen geriethen in<lb/>
große Angſt und Noth; ſie ſahen wohl, daß er<lb/>
vorſätzlich davon gegangen, indem er ſeine Hab¬<lb/>ſeligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬<lb/>
ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬<lb/>
los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken,<lb/>
und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬<lb/>
krazius verſchwunden war und blieb, ergaben ſie<lb/>ſich mit trauriger Seele in ihr Schickſal, das<lb/>
ihnen nun doppelt einſam und arm erſchien.</p><lb/><p>Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur<lb/>
ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen,<lb/>
die man liebt, jetzt ſtehn und gehn, wenn eine<lb/>ſolche Stille darüber durch die Welt herrſcht,<lb/>
daß allnirgends auch nur der leiſeſte Hauch von<lb/>
ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, ſie<lb/>ſind da und athmen irgendwo.</p><lb/><p>So erging es der Mutter und dem Eſther¬<lb/>
lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre,<lb/>
einen Tag wie den andern, und ſie wußten<lb/>
nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig ſei.<lb/>
Das war ein langes und gründliches Schmollen<lb/>
und Eſtherchen, welches eine ſchöne Jungfrau<lb/></p></div></body></text></TEI>
[18/0030]
daß er kam, und eben ſo der zweite und dritte
Tag. Die Mutter und Eſtherchen geriethen in
große Angſt und Noth; ſie ſahen wohl, daß er
vorſätzlich davon gegangen, indem er ſeine Hab¬
ſeligkeiten mitgenommen. Sie weinten und klag¬
ten unaufhörlich, wenn alle Bemühungen frucht¬
los blieben, eine Spur von ihm zu entdecken,
und als nach Verlauf eines halben Jahrs Pan¬
krazius verſchwunden war und blieb, ergaben ſie
ſich mit trauriger Seele in ihr Schickſal, das
ihnen nun doppelt einſam und arm erſchien.
Wie lang wird nicht eine Woche, ja nur
ein Tag, wenn man nicht weiß, wo diejenigen,
die man liebt, jetzt ſtehn und gehn, wenn eine
ſolche Stille darüber durch die Welt herrſcht,
daß allnirgends auch nur der leiſeſte Hauch von
ihrem Namen ergeht, und man weiß doch, ſie
ſind da und athmen irgendwo.
So erging es der Mutter und dem Eſther¬
lein fünf Jahre, zehn Jahre und funfzehn Jahre,
einen Tag wie den andern, und ſie wußten
nicht, ob ihr Pankrazius todt oder lebendig ſei.
Das war ein langes und gründliches Schmollen
und Eſtherchen, welches eine ſchöne Jungfrau
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/30>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.