zweier Verliebter auf eine oder zwei Minuten sich selbst überlebt und die Vergänglichkeit alles Lebens mitten im Rausche der Blüthezeit ahnen läßt. Sie hörten die Lerchen singen hoch über sich und suchten dieselben mit ihren scharfen Au¬ gen, und wenn sie glaubten, flüchtig Eine in der Sonne aufblitzen zu sehen, gleich einem plötz¬ lich aufleuchtenden oder hinschießenden Stern am blauen Himmel, so küßten sie sich wieder zur Belohnung und suchten einander zu übervorthei¬ len und zu täuschen, so viel sie konnten. "Siehst Du, dort blitzt Eine!" flüsterte Sali und Vren¬ chen erwiederte eben so leise: "Ich höre sie wohl, aber ich sehe sie nicht!" "Doch, paß nur auf, dort wo das weiße Wölkchen steht ein we¬ nig rechts davon!" Und beide sahen eifrig hin und sperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie die jungen Wachteln im Neste, um sie unver¬ züglich auf einander zu heften, wenn sie sich ein¬ bildeten, die Lerche gesehen zu haben. Auf ein¬ mal hielt Vrenchen inne und sagte: "Dies ist also eine ausgemachte Sache, daß Jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es Dich nicht so?" "Ja, sagte Sali, es scheint mir fast auch!"
zweier Verliebter auf eine oder zwei Minuten ſich ſelbſt überlebt und die Vergänglichkeit alles Lebens mitten im Rauſche der Blüthezeit ahnen läßt. Sie hörten die Lerchen ſingen hoch über ſich und ſuchten dieſelben mit ihren ſcharfen Au¬ gen, und wenn ſie glaubten, flüchtig Eine in der Sonne aufblitzen zu ſehen, gleich einem plötz¬ lich aufleuchtenden oder hinſchießenden Stern am blauen Himmel, ſo küßten ſie ſich wieder zur Belohnung und ſuchten einander zu übervorthei¬ len und zu täuſchen, ſo viel ſie konnten. »Siehſt Du, dort blitzt Eine!« flüſterte Sali und Vren¬ chen erwiederte eben ſo leiſe: »Ich höre ſie wohl, aber ich ſehe ſie nicht!« »Doch, paß nur auf, dort wo das weiße Wölkchen ſteht ein we¬ nig rechts davon!« Und beide ſahen eifrig hin und ſperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie die jungen Wachteln im Neſte, um ſie unver¬ züglich auf einander zu heften, wenn ſie ſich ein¬ bildeten, die Lerche geſehen zu haben. Auf ein¬ mal hielt Vrenchen inne und ſagte: »Dies iſt alſo eine ausgemachte Sache, daß Jedes von uns einen Schatz hat, dünkt es Dich nicht ſo?« »Ja, ſagte Sali, es ſcheint mir faſt auch!«
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zweier Verliebter auf eine oder zwei Minuten
ſich ſelbſt überlebt und die Vergänglichkeit alles
Lebens mitten im Rauſche der Blüthezeit ahnen
läßt. Sie hörten die Lerchen ſingen hoch über
ſich und ſuchten dieſelben mit ihren ſcharfen Au¬
gen, und wenn ſie glaubten, flüchtig Eine in
der Sonne aufblitzen zu ſehen, gleich einem plötz¬
lich aufleuchtenden oder hinſchießenden Stern am
blauen Himmel, ſo küßten ſie ſich wieder zur
Belohnung und ſuchten einander zu übervorthei¬
len und zu täuſchen, ſo viel ſie konnten. »Siehſt
Du, dort blitzt Eine!« flüſterte Sali und Vren¬
chen erwiederte eben ſo leiſe: »Ich höre ſie
wohl, aber ich ſehe ſie nicht!« »Doch, paß nur
auf, dort wo das weiße Wölkchen ſteht ein we¬
nig rechts davon!« Und beide ſahen eifrig hin
und ſperrten vorläufig ihre Schnäbel auf, wie
die jungen Wachteln im Neſte, um ſie unver¬
züglich auf einander zu heften, wenn ſie ſich ein¬
bildeten, die Lerche geſehen zu haben. Auf ein¬
mal hielt Vrenchen inne und ſagte: »Dies iſt
alſo eine ausgemachte Sache, daß Jedes von
uns einen Schatz hat, dünkt es Dich nicht ſo?«
»Ja, ſagte Sali, es ſcheint mir faſt auch!«
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/295>, abgerufen am 23.11.2024.
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