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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sagte Sali, ich will schon etwas mitbringen!"
"Doch nicht von Deinem Vater, von -- von
dem Gestohlenen?" "Nein, sei nur ruhig! ich
habe noch meine silberne Uhr bewahrt bis dahin,
die will ich verkaufen." "Ich will Dir nicht
abrathen, sagte Vrenchen erröthend, denn ich
glaube, ich müßte sterben, wenn ich nicht morgen
mit Dir tanzen könnte." "Es wäre das Beste,
wir Beide könnten sterben!" sagte Sali, sie um¬
armten sich wehmüthig und schmerzlich zum Ab¬
schied, und als sie von einander ließen, lachten
sie sich doch freundlich an in der sichern Hoff¬
nung auf den nächsten Tag. "Aber wann willst
Du denn kommen?" rief Vrenchen noch; "spä¬
testens um eilf Uhr Mittags, erwiederte er, wir
wollen recht ordentlich zusammen Mittag essen!"
"Gut, gut! komm lieber um halb eilf schon!"
Doch als Sali schon im Gehen war, rief sie
ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich
verändertes verzweiflungsvolles Gesicht. "Es
wird doch nichts daraus, sagte sie bitterlich wei¬
nend, ich habe keine Sonntagsschuhe mehr! Schon
gestern habe ich diese groben hier anziehen müs¬
sen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß

ſagte Sali, ich will ſchon etwas mitbringen!«
»Doch nicht von Deinem Vater, von — von
dem Geſtohlenen?« »Nein, ſei nur ruhig! ich
habe noch meine ſilberne Uhr bewahrt bis dahin,
die will ich verkaufen.« »Ich will Dir nicht
abrathen, ſagte Vrenchen erröthend, denn ich
glaube, ich müßte ſterben, wenn ich nicht morgen
mit Dir tanzen könnte.« »Es wäre das Beſte,
wir Beide könnten ſterben!« ſagte Sali, ſie um¬
armten ſich wehmüthig und ſchmerzlich zum Ab¬
ſchied, und als ſie von einander ließen, lachten
ſie ſich doch freundlich an in der ſichern Hoff¬
nung auf den nächſten Tag. »Aber wann willſt
Du denn kommen?« rief Vrenchen noch; »ſpä¬
teſtens um eilf Uhr Mittags, erwiederte er, wir
wollen recht ordentlich zuſammen Mittag eſſen!«
»Gut, gut! komm lieber um halb eilf ſchon!«
Doch als Sali ſchon im Gehen war, rief ſie
ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich
verändertes verzweiflungsvolles Geſicht. »Es
wird doch nichts daraus, ſagte ſie bitterlich wei¬
nend, ich habe keine Sonntagsſchuhe mehr! Schon
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[299/0311] ſagte Sali, ich will ſchon etwas mitbringen!« »Doch nicht von Deinem Vater, von — von dem Geſtohlenen?« »Nein, ſei nur ruhig! ich habe noch meine ſilberne Uhr bewahrt bis dahin, die will ich verkaufen.« »Ich will Dir nicht abrathen, ſagte Vrenchen erröthend, denn ich glaube, ich müßte ſterben, wenn ich nicht morgen mit Dir tanzen könnte.« »Es wäre das Beſte, wir Beide könnten ſterben!« ſagte Sali, ſie um¬ armten ſich wehmüthig und ſchmerzlich zum Ab¬ ſchied, und als ſie von einander ließen, lachten ſie ſich doch freundlich an in der ſichern Hoff¬ nung auf den nächſten Tag. »Aber wann willſt Du denn kommen?« rief Vrenchen noch; »ſpä¬ teſtens um eilf Uhr Mittags, erwiederte er, wir wollen recht ordentlich zuſammen Mittag eſſen!« »Gut, gut! komm lieber um halb eilf ſchon!« Doch als Sali ſchon im Gehen war, rief ſie ihn noch einmal zurück und zeigte ein plötzlich verändertes verzweiflungsvolles Geſicht. »Es wird doch nichts daraus, ſagte ſie bitterlich wei¬ nend, ich habe keine Sonntagsſchuhe mehr! Schon geſtern habe ich dieſe groben hier anziehen müſ¬ ſen, um nach der Stadt zu kommen! Ich weiß

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/311>, abgerufen am 22.11.2024.