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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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ren war es als ein kleines Landhaus von einem
reichen Sonderling gebaut worden, nach welchem
Niemand mehr da wohnen mochte, und da der
Platz sonst zu nichts zu gebrauchen war, so ge¬
rieth der wunderliche Landsitz in Verfall und
zuletzt in die Hände eines Wirthes, der da sein
Wesen trieb. Der Name und die demselben
entsprechende Bauart waren aber dem Hause
geblieben. Es bestand nur aus einem Erdge¬
schoß, über welchem ein offener Estrich gebaut
war, dessen Dach an den vier Ecken von Bil¬
dern aus Sandstein getragen wurde, so die vier
Erzengel vorstellten und gänzlich verwittert wa¬
ren. Auf dem Gesimse des Daches saßen rings
herum kleine musizirende Engel mit dicken Kö¬
pfen und Bäuchen, den Triangel, die Geige, die
Flöte, Cimbel und Tamburin spielend, ebenfalls
aus Sandstein, und die Instrumente waren ur¬
sprünglich vergoldet gewesen. Die Decke inwen¬
dig, sowie die Brustwehr des Estrichs und das
übrige Gemäuer des Hauses waren mit ver¬
waschenen Freskomalereien bedeckt, welche lustige
Engelscharen, sowie singende und tanzende Heilige
darstellten. Aber alles war verwischt und un¬

ren war es als ein kleines Landhaus von einem
reichen Sonderling gebaut worden, nach welchem
Niemand mehr da wohnen mochte, und da der
Platz ſonſt zu nichts zu gebrauchen war, ſo ge¬
rieth der wunderliche Landſitz in Verfall und
zuletzt in die Hände eines Wirthes, der da ſein
Weſen trieb. Der Name und die demſelben
entſprechende Bauart waren aber dem Hauſe
geblieben. Es beſtand nur aus einem Erdge¬
ſchoß, über welchem ein offener Eſtrich gebaut
war, deſſen Dach an den vier Ecken von Bil¬
dern aus Sandſtein getragen wurde, ſo die vier
Erzengel vorſtellten und gänzlich verwittert wa¬
ren. Auf dem Geſimſe des Daches ſaßen rings
herum kleine muſizirende Engel mit dicken Kö¬
pfen und Bäuchen, den Triangel, die Geige, die
Flöte, Cimbel und Tamburin ſpielend, ebenfalls
aus Sandſtein, und die Inſtrumente waren ur¬
ſprünglich vergoldet geweſen. Die Decke inwen¬
dig, ſowie die Bruſtwehr des Eſtrichs und das
übrige Gemäuer des Hauſes waren mit ver¬
waſchenen Freskomalereien bedeckt, welche luſtige
Engelſcharen, ſowie ſingende und tanzende Heilige
darſtellten. Aber alles war verwiſcht und un¬

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[334/0346] ren war es als ein kleines Landhaus von einem reichen Sonderling gebaut worden, nach welchem Niemand mehr da wohnen mochte, und da der Platz ſonſt zu nichts zu gebrauchen war, ſo ge¬ rieth der wunderliche Landſitz in Verfall und zuletzt in die Hände eines Wirthes, der da ſein Weſen trieb. Der Name und die demſelben entſprechende Bauart waren aber dem Hauſe geblieben. Es beſtand nur aus einem Erdge¬ ſchoß, über welchem ein offener Eſtrich gebaut war, deſſen Dach an den vier Ecken von Bil¬ dern aus Sandſtein getragen wurde, ſo die vier Erzengel vorſtellten und gänzlich verwittert wa¬ ren. Auf dem Geſimſe des Daches ſaßen rings herum kleine muſizirende Engel mit dicken Kö¬ pfen und Bäuchen, den Triangel, die Geige, die Flöte, Cimbel und Tamburin ſpielend, ebenfalls aus Sandſtein, und die Inſtrumente waren ur¬ ſprünglich vergoldet geweſen. Die Decke inwen¬ dig, ſowie die Bruſtwehr des Eſtrichs und das übrige Gemäuer des Hauſes waren mit ver¬ waſchenen Freskomalereien bedeckt, welche luſtige Engelſcharen, ſowie ſingende und tanzende Heilige darſtellten. Aber alles war verwiſcht und un¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/346>, abgerufen am 22.11.2024.