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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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welche die sich sicher fühlenden Väter durch einen
unscheinbaren Mißgriff über den Haufen gewor¬
fen, als sie, eben diese Ehre zu äufnen wähnend
durch Vermehrung ihres Eigenthums, so gedan¬
kenlos sich das Gut eines Verschollenen aneig¬
neten, ganz gefahrlos, wie sie meinten. Das
geschieht nun freilich alle Tage; aber zuweilen
stellt das Schicksal ein Exempel auf und läßt
zwei solche Äufner ihrer Hausehre und ihres
Gutes zusammentreffen, die sich dann unfehlbar
aufreiben und auffressen wie zwei wilde Thiere.
Denn die Mehrer des Reiches verrechnen sich
nicht nur auf den Thronen, sondern zuweilen
auch in den niedersten Hütten und langen ganz
am entgegengesetzten Ende an, als wohin sie zu
kommen trachteten und der Schild der Ehre ist
im Umsehen eine Tafel der Schande. Sali und
Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hau¬
ses gesehen in zarten Kinderjahren und erinner¬
ten sich, wie wohlgepflegte Kinderchen sie gewe¬
sen und wie ihre Väter ausgesehen wie andere
Männer, geachtet und sicher. Dann waren sie
auf lange getrennt worden und als sie sich wie¬
derfanden, sahen sie in sich zugleich das ver¬

welche die ſich ſicher fühlenden Väter durch einen
unſcheinbaren Mißgriff über den Haufen gewor¬
fen, als ſie, eben dieſe Ehre zu äufnen wähnend
durch Vermehrung ihres Eigenthums, ſo gedan¬
kenlos ſich das Gut eines Verſchollenen aneig¬
neten, ganz gefahrlos, wie ſie meinten. Das
geſchieht nun freilich alle Tage; aber zuweilen
ſtellt das Schickſal ein Exempel auf und läßt
zwei ſolche Äufner ihrer Hausehre und ihres
Gutes zuſammentreffen, die ſich dann unfehlbar
aufreiben und auffreſſen wie zwei wilde Thiere.
Denn die Mehrer des Reiches verrechnen ſich
nicht nur auf den Thronen, ſondern zuweilen
auch in den niederſten Hütten und langen ganz
am entgegengeſetzten Ende an, als wohin ſie zu
kommen trachteten und der Schild der Ehre iſt
im Umſehen eine Tafel der Schande. Sali und
Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hau¬
ſes geſehen in zarten Kinderjahren und erinner¬
ten ſich, wie wohlgepflegte Kinderchen ſie gewe¬
ſen und wie ihre Väter ausgeſehen wie andere
Männer, geachtet und ſicher. Dann waren ſie
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[342/0354] welche die ſich ſicher fühlenden Väter durch einen unſcheinbaren Mißgriff über den Haufen gewor¬ fen, als ſie, eben dieſe Ehre zu äufnen wähnend durch Vermehrung ihres Eigenthums, ſo gedan¬ kenlos ſich das Gut eines Verſchollenen aneig¬ neten, ganz gefahrlos, wie ſie meinten. Das geſchieht nun freilich alle Tage; aber zuweilen ſtellt das Schickſal ein Exempel auf und läßt zwei ſolche Äufner ihrer Hausehre und ihres Gutes zuſammentreffen, die ſich dann unfehlbar aufreiben und auffreſſen wie zwei wilde Thiere. Denn die Mehrer des Reiches verrechnen ſich nicht nur auf den Thronen, ſondern zuweilen auch in den niederſten Hütten und langen ganz am entgegengeſetzten Ende an, als wohin ſie zu kommen trachteten und der Schild der Ehre iſt im Umſehen eine Tafel der Schande. Sali und Vrenchen hatten aber noch die Ehre ihres Hau¬ ſes geſehen in zarten Kinderjahren und erinner¬ ten ſich, wie wohlgepflegte Kinderchen ſie gewe¬ ſen und wie ihre Väter ausgeſehen wie andere Männer, geachtet und ſicher. Dann waren ſie auf lange getrennt worden und als ſie ſich wie¬ derfanden, ſahen ſie in ſich zugleich das ver¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/354>, abgerufen am 23.11.2024.