schwundene Glück des Hauses und beider Nei¬ gung klammerte sich nur um so heftiger in ein¬ ander. Sie mochten so gern fröhlich und glück¬ lich sein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieser schien ihnen unerreichbar, während ihr wallendes Blut am liebsten gleich zusammengeströmt wäre. "Nun ist es Nacht, rief Vrenchen, und wir sollen uns trennen!" "Ich soll nach Hause gehen und Dich allein lassen?" rief Sali, "nein, das kann ich nicht!" "Dann wird es Tag werden und nicht besser um uns stehen!"
"Ich will euch einen Rath geben, ihr när¬ rischen Dinger!" tönte eine schrille Stimme hin¬ ter ihnen und der Geiger trat vor sie hin. "Da steht ihr, sagte er, und wißt nicht wo aus und hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch, wie ihr seid und säumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als eueren guten Willen! Es ist gar nicht so übel bei uns, gesunde Luft und genug zu essen, wenn man thätig ist; die grünen Wälder sind unser
ſchwundene Glück des Hauſes und beider Nei¬ gung klammerte ſich nur um ſo heftiger in ein¬ ander. Sie mochten ſo gern fröhlich und glück¬ lich ſein, aber nur auf einem guten Grund und Boden, und dieſer ſchien ihnen unerreichbar, während ihr wallendes Blut am liebſten gleich zuſammengeſtrömt wäre. »Nun iſt es Nacht, rief Vrenchen, und wir ſollen uns trennen!« »Ich ſoll nach Hauſe gehen und Dich allein laſſen?« rief Sali, »nein, das kann ich nicht!« »Dann wird es Tag werden und nicht beſſer um uns ſtehen!«
»Ich will euch einen Rath geben, ihr när¬ riſchen Dinger!« tönte eine ſchrille Stimme hin¬ ter ihnen und der Geiger trat vor ſie hin. »Da ſteht ihr, ſagte er, und wißt nicht wo aus und hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch, wie ihr ſeid und ſäumet nicht. Kommt mit mir und meinen guten Freunden in die Berge, da brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als eueren guten Willen! Es iſt gar nicht ſo übel bei uns, geſunde Luft und genug zu eſſen, wenn man thätig iſt; die grünen Wälder ſind unſer
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ſchwundene Glück des Hauſes und beider Nei¬
gung klammerte ſich nur um ſo heftiger in ein¬
ander. Sie mochten ſo gern fröhlich und glück¬
lich ſein, aber nur auf einem guten Grund und
Boden, und dieſer ſchien ihnen unerreichbar,
während ihr wallendes Blut am liebſten gleich
zuſammengeſtrömt wäre. »Nun iſt es Nacht,
rief Vrenchen, und wir ſollen uns trennen!«
»Ich ſoll nach Hauſe gehen und Dich allein
laſſen?« rief Sali, »nein, das kann ich nicht!«
»Dann wird es Tag werden und nicht beſſer
um uns ſtehen!«
»Ich will euch einen Rath geben, ihr när¬
riſchen Dinger!« tönte eine ſchrille Stimme hin¬
ter ihnen und der Geiger trat vor ſie hin. »Da
ſteht ihr, ſagte er, und wißt nicht wo aus und
hättet euch gern. Ich rathe euch, nehmt euch,
wie ihr ſeid und ſäumet nicht. Kommt mit mir
und meinen guten Freunden in die Berge, da
brauchet ihr keinen Pfarrer, kein Geld, keine
Schriften, keine Ehre, kein Bett, nichts als
eueren guten Willen! Es iſt gar nicht ſo übel
bei uns, geſunde Luft und genug zu eſſen, wenn
man thätig iſt; die grünen Wälder ſind unſer
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/355>, abgerufen am 23.11.2024.
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