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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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hauptete seinen Platz zunächst der Wand Winter
und Sommer; er nahm das Sauerkraut willig
für Fische und im Frühjahr mit bescheidenem
Dank ein Stückchen von dem Schinken. Den
kleineren Lohn legte er so gut zur Seite, wie
den größeren, denn er gab nichts aus, sondern
sparte sich alles auf. Er lebte nicht, wie an¬
dere Handwerksgesellen, trank nie einen Schop¬
pen, verkehrte mit keinem Landsmann noch mit
anderen jungen Gesellen, sondern stellte sich des
Abends unter die Hausthüre und schäkerte mit
den alten Weibern, hob ihnen die Wassereimer
auf den Kopf, wenn er besonders freigebiger
Laune war, und ging mit den Hühnern zu Bett,
wenn nicht reichliche Arbeit da war, daß er für
besondere Rechnung die Nacht durcharbeiten konnte.
Am Sonntag arbeitete er ebenfalls bis in den
Nachmittag hinein, und wenn es das herrlichste
Wetter war; man denke aber nicht, daß er dies
mit Frohsinn und Vergnügen that, wie Johann
der muntere Seifensieder; vielmehr war er bei
dieser freiwilligen Mühe niedergeschlagen, und be¬
klagte sich fortwährend über die Mühseligkeit des
Lebens. War dann der Sonntagnachmittag ge¬

hauptete ſeinen Platz zunächſt der Wand Winter
und Sommer; er nahm das Sauerkraut willig
für Fiſche und im Frühjahr mit beſcheidenem
Dank ein Stückchen von dem Schinken. Den
kleineren Lohn legte er ſo gut zur Seite, wie
den größeren, denn er gab nichts aus, ſondern
ſparte ſich alles auf. Er lebte nicht, wie an¬
dere Handwerksgeſellen, trank nie einen Schop¬
pen, verkehrte mit keinem Landsmann noch mit
anderen jungen Geſellen, ſondern ſtellte ſich des
Abends unter die Hausthüre und ſchäkerte mit
den alten Weibern, hob ihnen die Waſſereimer
auf den Kopf, wenn er beſonders freigebiger
Laune war, und ging mit den Hühnern zu Bett,
wenn nicht reichliche Arbeit da war, daß er für
beſondere Rechnung die Nacht durcharbeiten konnte.
Am Sonntag arbeitete er ebenfalls bis in den
Nachmittag hinein, und wenn es das herrlichſte
Wetter war; man denke aber nicht, daß er dies
mit Frohſinn und Vergnügen that, wie Johann
der muntere Seifenſieder; vielmehr war er bei
dieſer freiwilligen Mühe niedergeſchlagen, und be¬
klagte ſich fortwährend über die Mühſeligkeit des
Lebens. War dann der Sonntagnachmittag ge¬

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[364/0376] hauptete ſeinen Platz zunächſt der Wand Winter und Sommer; er nahm das Sauerkraut willig für Fiſche und im Frühjahr mit beſcheidenem Dank ein Stückchen von dem Schinken. Den kleineren Lohn legte er ſo gut zur Seite, wie den größeren, denn er gab nichts aus, ſondern ſparte ſich alles auf. Er lebte nicht, wie an¬ dere Handwerksgeſellen, trank nie einen Schop¬ pen, verkehrte mit keinem Landsmann noch mit anderen jungen Geſellen, ſondern ſtellte ſich des Abends unter die Hausthüre und ſchäkerte mit den alten Weibern, hob ihnen die Waſſereimer auf den Kopf, wenn er beſonders freigebiger Laune war, und ging mit den Hühnern zu Bett, wenn nicht reichliche Arbeit da war, daß er für beſondere Rechnung die Nacht durcharbeiten konnte. Am Sonntag arbeitete er ebenfalls bis in den Nachmittag hinein, und wenn es das herrlichſte Wetter war; man denke aber nicht, daß er dies mit Frohſinn und Vergnügen that, wie Johann der muntere Seifenſieder; vielmehr war er bei dieſer freiwilligen Mühe niedergeſchlagen, und be¬ klagte ſich fortwährend über die Mühſeligkeit des Lebens. War dann der Sonntagnachmittag ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/376>, abgerufen am 28.11.2024.