gend; war aber Jobst heiter und weise, so zeigte sich Fridolin spaßhaft und klug; war jener be¬ scheiden, so war dieser demüthig, jener schlau und ironisch, dieser durchtrieben und beinahe satyrisch, und machte Jobst ein friedlich einfältiges Gesicht zu einer Sache, die ihn ängstigte, so sah Frido¬ lin unübertrefflich wie ein Esel aus. Es war nicht sowohl ein Wettkampf, als die Übung wohl¬ bewußter Meisterschaft, die sie beseelte, wobei keiner verschmähte, sich den andern zum Vorbild zu nehmen und ihm die feinsten Züge eines voll¬ kommenen Lebenswandels, die ihm etwa noch fehlten, nachzuahmen. Sie sahen sogar so ein¬ trächtig und verständnißinnig aus, daß sie eine gemeinsame Sache zu machen schienen, und glichen so zwei tüchtigen Helden, die sich ritterlich ver¬ tragen und gegenseitig stählen, ehe sie sich befeh¬ den. Aber nach kaum acht Tagen kam abermals einer zugereis't, ein Schwabe, Namens Dietrich, worüber die Beiden eine stillschweigende Freude empfanden, wie über einen lustigen Maßstab, an welchem ihre stille Größe sich messen konnte, und sie gedachten das arme Schwäbchen, welches ge¬ wiß ein rechter Taugenichts war, in die Mitte
gend; war aber Jobſt heiter und weiſe, ſo zeigte ſich Fridolin ſpaßhaft und klug; war jener be¬ ſcheiden, ſo war dieſer demüthig, jener ſchlau und ironiſch, dieſer durchtrieben und beinahe ſatyriſch, und machte Jobſt ein friedlich einfältiges Geſicht zu einer Sache, die ihn ängſtigte, ſo ſah Frido¬ lin unübertrefflich wie ein Eſel aus. Es war nicht ſowohl ein Wettkampf, als die Übung wohl¬ bewußter Meiſterſchaft, die ſie beſeelte, wobei keiner verſchmähte, ſich den andern zum Vorbild zu nehmen und ihm die feinſten Züge eines voll¬ kommenen Lebenswandels, die ihm etwa noch fehlten, nachzuahmen. Sie ſahen ſogar ſo ein¬ trächtig und verſtändnißinnig aus, daß ſie eine gemeinſame Sache zu machen ſchienen, und glichen ſo zwei tüchtigen Helden, die ſich ritterlich ver¬ tragen und gegenſeitig ſtählen, ehe ſie ſich befeh¬ den. Aber nach kaum acht Tagen kam abermals einer zugereiſ't, ein Schwabe, Namens Dietrich, worüber die Beiden eine ſtillſchweigende Freude empfanden, wie über einen luſtigen Maßſtab, an welchem ihre ſtille Größe ſich meſſen konnte, und ſie gedachten das arme Schwäbchen, welches ge¬ wiß ein rechter Taugenichts war, in die Mitte
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gend; war aber Jobſt heiter und weiſe, ſo zeigte
ſich Fridolin ſpaßhaft und klug; war jener be¬
ſcheiden, ſo war dieſer demüthig, jener ſchlau und
ironiſch, dieſer durchtrieben und beinahe ſatyriſch,
und machte Jobſt ein friedlich einfältiges Geſicht
zu einer Sache, die ihn ängſtigte, ſo ſah Frido¬
lin unübertrefflich wie ein Eſel aus. Es war
nicht ſowohl ein Wettkampf, als die Übung wohl¬
bewußter Meiſterſchaft, die ſie beſeelte, wobei
keiner verſchmähte, ſich den andern zum Vorbild
zu nehmen und ihm die feinſten Züge eines voll¬
kommenen Lebenswandels, die ihm etwa noch
fehlten, nachzuahmen. Sie ſahen ſogar ſo ein¬
trächtig und verſtändnißinnig aus, daß ſie eine
gemeinſame Sache zu machen ſchienen, und glichen
ſo zwei tüchtigen Helden, die ſich ritterlich ver¬
tragen und gegenſeitig ſtählen, ehe ſie ſich befeh¬
den. Aber nach kaum acht Tagen kam abermals
einer zugereiſ't, ein Schwabe, Namens Dietrich,
worüber die Beiden eine ſtillſchweigende Freude
empfanden, wie über einen luſtigen Maßſtab, an
welchem ihre ſtille Größe ſich meſſen konnte, und
ſie gedachten das arme Schwäbchen, welches ge¬
wiß ein rechter Taugenichts war, in die Mitte
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/391>, abgerufen am 28.11.2024.
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