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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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so frei wie dasjenige seiner Nebengesellen, außer
von der Leidenschaft, gerade hier und nirgends
anders sich anzusiedeln und den Vortheil wahr¬
zunehmen, so erfand er den Gedanken, sich zu
verlieben und um die Hand einer Person zu
werben, welche ungefähr so viel besaß, als der
Sachse und der Baier unter den Fliesen liegen
hatten. Es gehörte zu den besseren Eigenthüm¬
lichkeiten der Seldwyler, daß sie um einiger
Mittel willen keine häßlichen oder unliebenswür¬
digen Frauen nahmen; in große Versuchung
geriethen sie ohnehin nicht, da es in ihrer Stadt
keine reichen Erbinnen gab, weder schöne noch
unschöne, und so behaupteten sie wenigstens die
Tapferkeit, auch die kleineren Brocken zu verschmä¬
hen und sich lieber mit lustigen und hübschen
Wesen zu verbinden, mit welchen sie einige Jahre
Staat machen konnten. Daher wurde es dem
ausspähenden Schwaben nicht schwer, sich den
Weg zu einer tugendhaften Jungfrau zu bahnen,
welche in derselben Straße wohnte und von der
er, im klugen Gespräche mit alten Weibern, in
Erfahrung gebracht, daß sie einen Gültbrief von
siebenhundert Gulden ihr Eigenthum nenne.

ſo frei wie dasjenige ſeiner Nebengeſellen, außer
von der Leidenſchaft, gerade hier und nirgends
anders ſich anzuſiedeln und den Vortheil wahr¬
zunehmen, ſo erfand er den Gedanken, ſich zu
verlieben und um die Hand einer Perſon zu
werben, welche ungefähr ſo viel beſaß, als der
Sachſe und der Baier unter den Flieſen liegen
hatten. Es gehörte zu den beſſeren Eigenthüm¬
lichkeiten der Seldwyler, daß ſie um einiger
Mittel willen keine häßlichen oder unliebenswür¬
digen Frauen nahmen; in große Verſuchung
geriethen ſie ohnehin nicht, da es in ihrer Stadt
keine reichen Erbinnen gab, weder ſchöne noch
unſchöne, und ſo behaupteten ſie wenigſtens die
Tapferkeit, auch die kleineren Brocken zu verſchmä¬
hen und ſich lieber mit luſtigen und hübſchen
Weſen zu verbinden, mit welchen ſie einige Jahre
Staat machen konnten. Daher wurde es dem
ausſpähenden Schwaben nicht ſchwer, ſich den
Weg zu einer tugendhaften Jungfrau zu bahnen,
welche in derſelben Straße wohnte und von der
er, im klugen Geſpräche mit alten Weibern, in
Erfahrung gebracht, daß ſie einen Gültbrief von
ſiebenhundert Gulden ihr Eigenthum nenne.

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[382/0394] ſo frei wie dasjenige ſeiner Nebengeſellen, außer von der Leidenſchaft, gerade hier und nirgends anders ſich anzuſiedeln und den Vortheil wahr¬ zunehmen, ſo erfand er den Gedanken, ſich zu verlieben und um die Hand einer Perſon zu werben, welche ungefähr ſo viel beſaß, als der Sachſe und der Baier unter den Flieſen liegen hatten. Es gehörte zu den beſſeren Eigenthüm¬ lichkeiten der Seldwyler, daß ſie um einiger Mittel willen keine häßlichen oder unliebenswür¬ digen Frauen nahmen; in große Verſuchung geriethen ſie ohnehin nicht, da es in ihrer Stadt keine reichen Erbinnen gab, weder ſchöne noch unſchöne, und ſo behaupteten ſie wenigſtens die Tapferkeit, auch die kleineren Brocken zu verſchmä¬ hen und ſich lieber mit luſtigen und hübſchen Weſen zu verbinden, mit welchen ſie einige Jahre Staat machen konnten. Daher wurde es dem ausſpähenden Schwaben nicht ſchwer, ſich den Weg zu einer tugendhaften Jungfrau zu bahnen, welche in derſelben Straße wohnte und von der er, im klugen Geſpräche mit alten Weibern, in Erfahrung gebracht, daß ſie einen Gültbrief von ſiebenhundert Gulden ihr Eigenthum nenne.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/394>, abgerufen am 28.11.2024.