sollte gerade in dem Alter, wo man zu Seldwyl sonst fertig war. Was wollte der denn nun beginnen? Wollte er wirklich am Orte bleiben, ohne ein Herabgekommener zu sein die übrige Zeit seines Lebens hindurch, besonders wenn er etwa alt würde? Und wie hatte er es an¬ gefangen? Was zum Teufel hatte der unbe¬ achtete und unscheinbare junge Mensch betrieben die lange Jugend hindurch, ohne sich aufzubrau¬ chen? Das war die Frage, die alle Gemüther bewegte, und sie fanden durchaus keinen Schlüs¬ sel, das Räthsel zu lösen, weil ihre Menschen- oder Seelenkunde zu klein war, um zu wissen, daß gerade die herbe und bittere Gemüthsart, welche ihm und seinen Angehörigen so bittere Schmerzen bereitet, sein Wesen im Übrigen wohl¬ konservirt, wie der scharfe Kampher einen Schmet¬ terling, und ihm über das gefährliche Seldwyler Glanzalter hinweggeholfen hatte. Um die Frage zu lösen, stellte man überhaupt die Wahrheit des Ereignisses in Frage und bestritt dessen Mög¬ lichkeit, und um diese Auffassung zu bestätigen, wurden verschiedene alte Falliten nach dem Plätz¬ chen abgesandt, so daß Pankraz, dessen schon
ſollte gerade in dem Alter, wo man zu Seldwyl ſonſt fertig war. Was wollte der denn nun beginnen? Wollte er wirklich am Orte bleiben, ohne ein Herabgekommener zu ſein die übrige Zeit ſeines Lebens hindurch, beſonders wenn er etwa alt würde? Und wie hatte er es an¬ gefangen? Was zum Teufel hatte der unbe¬ achtete und unſcheinbare junge Menſch betrieben die lange Jugend hindurch, ohne ſich aufzubrau¬ chen? Das war die Frage, die alle Gemüther bewegte, und ſie fanden durchaus keinen Schlüſ¬ ſel, das Räthſel zu löſen, weil ihre Menſchen- oder Seelenkunde zu klein war, um zu wiſſen, daß gerade die herbe und bittere Gemüthsart, welche ihm und ſeinen Angehörigen ſo bittere Schmerzen bereitet, ſein Weſen im Übrigen wohl¬ konſervirt, wie der ſcharfe Kampher einen Schmet¬ terling, und ihm über das gefährliche Seldwyler Glanzalter hinweggeholfen hatte. Um die Frage zu löſen, ſtellte man überhaupt die Wahrheit des Ereigniſſes in Frage und beſtritt deſſen Mög¬ lichkeit, und um dieſe Auffaſſung zu beſtätigen, wurden verſchiedene alte Falliten nach dem Plätz¬ chen abgeſandt, ſo daß Pankraz, deſſen ſchon
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0044"n="32"/>ſollte gerade in dem Alter, wo man zu Seldwyl<lb/>ſonſt fertig war. Was wollte der denn nun<lb/>
beginnen? Wollte er wirklich am Orte bleiben,<lb/>
ohne ein Herabgekommener zu ſein die übrige<lb/>
Zeit ſeines Lebens hindurch, beſonders wenn er<lb/>
etwa alt würde? Und wie hatte er es an¬<lb/>
gefangen? Was zum Teufel hatte der unbe¬<lb/>
achtete und unſcheinbare junge Menſch betrieben<lb/>
die lange Jugend hindurch, ohne ſich aufzubrau¬<lb/>
chen? Das war die Frage, die alle Gemüther<lb/>
bewegte, und ſie fanden durchaus keinen Schlüſ¬<lb/>ſel, das Räthſel zu löſen, weil ihre Menſchen-<lb/>
oder Seelenkunde zu klein war, um zu wiſſen,<lb/>
daß gerade die herbe und bittere Gemüthsart,<lb/>
welche ihm und ſeinen Angehörigen ſo bittere<lb/>
Schmerzen bereitet, ſein Weſen im Übrigen wohl¬<lb/>
konſervirt, wie der ſcharfe Kampher einen Schmet¬<lb/>
terling, und ihm über das gefährliche Seldwyler<lb/>
Glanzalter hinweggeholfen hatte. Um die Frage<lb/>
zu löſen, ſtellte man überhaupt die Wahrheit des<lb/>
Ereigniſſes in Frage und beſtritt deſſen Mög¬<lb/>
lichkeit, und um dieſe Auffaſſung zu beſtätigen,<lb/>
wurden verſchiedene alte Falliten nach dem Plätz¬<lb/>
chen abgeſandt, ſo daß Pankraz, deſſen ſchon<lb/></p></div></body></text></TEI>
[32/0044]
ſollte gerade in dem Alter, wo man zu Seldwyl
ſonſt fertig war. Was wollte der denn nun
beginnen? Wollte er wirklich am Orte bleiben,
ohne ein Herabgekommener zu ſein die übrige
Zeit ſeines Lebens hindurch, beſonders wenn er
etwa alt würde? Und wie hatte er es an¬
gefangen? Was zum Teufel hatte der unbe¬
achtete und unſcheinbare junge Menſch betrieben
die lange Jugend hindurch, ohne ſich aufzubrau¬
chen? Das war die Frage, die alle Gemüther
bewegte, und ſie fanden durchaus keinen Schlüſ¬
ſel, das Räthſel zu löſen, weil ihre Menſchen-
oder Seelenkunde zu klein war, um zu wiſſen,
daß gerade die herbe und bittere Gemüthsart,
welche ihm und ſeinen Angehörigen ſo bittere
Schmerzen bereitet, ſein Weſen im Übrigen wohl¬
konſervirt, wie der ſcharfe Kampher einen Schmet¬
terling, und ihm über das gefährliche Seldwyler
Glanzalter hinweggeholfen hatte. Um die Frage
zu löſen, ſtellte man überhaupt die Wahrheit des
Ereigniſſes in Frage und beſtritt deſſen Mög¬
lichkeit, und um dieſe Auffaſſung zu beſtätigen,
wurden verſchiedene alte Falliten nach dem Plätz¬
chen abgeſandt, ſo daß Pankraz, deſſen ſchon
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/44>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.