vielmehr ließ es sich von solchen einen guten Spaß gefallen und selbst ein bischen an den Ohren zupfen, ohne zu kratzen; dagegen ließ es sich von einer Art dummer Menschen, von wel¬ chen es behauptete, daß die Dummheit aus einem unreifen und nichtsnutzigen Herzen käme, nicht das Mindeste gefallen und ging ihnen ent¬ weder aus dem Wege, oder versetzte ihnen einen ausreichenden Hieb über die Hand, wenn sie es mit einer Plumpheit molestirten.
Spiegel, so war der Name des Kätzchens wegen seines glatten und glänzenden Pelzes, lebte so seine Tage heiter, zierlich und beschau¬ lich dahin, in anständiger Wohlhabenheit und ohne Überhebung. Er saß nicht zu oft auf der Schulter seiner freundlichen Gebieterin, um ihr die Bissen von der Gabel wegzufangen, sondern nur, wenn er merkte, daß ihr dieser Spaß an¬ genehm war; auch lag und schlief er den Tag über selten auf seinem warmen Kissen hinter dem Ofen, sondern hielt sich munter und liebte es eher, auf einem schmalen Treppengeländer oder in der Dachrinne zu liegen und sich philo¬ sophischen Betrachtungen und der Beobachtung
Keller, die Leute von Seldwyla. 29
vielmehr ließ es ſich von ſolchen einen guten Spaß gefallen und ſelbſt ein bischen an den Ohren zupfen, ohne zu kratzen; dagegen ließ es ſich von einer Art dummer Menſchen, von wel¬ chen es behauptete, daß die Dummheit aus einem unreifen und nichtsnutzigen Herzen käme, nicht das Mindeſte gefallen und ging ihnen ent¬ weder aus dem Wege, oder verſetzte ihnen einen ausreichenden Hieb über die Hand, wenn ſie es mit einer Plumpheit moleſtirten.
Spiegel, ſo war der Name des Kätzchens wegen ſeines glatten und glänzenden Pelzes, lebte ſo ſeine Tage heiter, zierlich und beſchau¬ lich dahin, in anſtändiger Wohlhabenheit und ohne Überhebung. Er ſaß nicht zu oft auf der Schulter ſeiner freundlichen Gebieterin, um ihr die Biſſen von der Gabel wegzufangen, ſondern nur, wenn er merkte, daß ihr dieſer Spaß an¬ genehm war; auch lag und ſchlief er den Tag über ſelten auf ſeinem warmen Kiſſen hinter dem Ofen, ſondern hielt ſich munter und liebte es eher, auf einem ſchmalen Treppengeländer oder in der Dachrinne zu liegen und ſich philo¬ ſophiſchen Betrachtungen und der Beobachtung
Keller, die Leute von Seldwyla. 29
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vielmehr ließ es ſich von ſolchen einen guten
Spaß gefallen und ſelbſt ein bischen an den
Ohren zupfen, ohne zu kratzen; dagegen ließ es
ſich von einer Art dummer Menſchen, von wel¬
chen es behauptete, daß die Dummheit aus
einem unreifen und nichtsnutzigen Herzen käme,
nicht das Mindeſte gefallen und ging ihnen ent¬
weder aus dem Wege, oder verſetzte ihnen einen
ausreichenden Hieb über die Hand, wenn ſie es
mit einer Plumpheit moleſtirten.
Spiegel, ſo war der Name des Kätzchens
wegen ſeines glatten und glänzenden Pelzes,
lebte ſo ſeine Tage heiter, zierlich und beſchau¬
lich dahin, in anſtändiger Wohlhabenheit und
ohne Überhebung. Er ſaß nicht zu oft auf der
Schulter ſeiner freundlichen Gebieterin, um ihr
die Biſſen von der Gabel wegzufangen, ſondern
nur, wenn er merkte, daß ihr dieſer Spaß an¬
genehm war; auch lag und ſchlief er den Tag
über ſelten auf ſeinem warmen Kiſſen hinter
dem Ofen, ſondern hielt ſich munter und liebte
es eher, auf einem ſchmalen Treppengeländer
oder in der Dachrinne zu liegen und ſich philo¬
ſophiſchen Betrachtungen und der Beobachtung
Keller, die Leute von Seldwyla. 29
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 449. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/461>, abgerufen am 22.11.2024.
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