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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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allein die süße Gewalt der Leidenschaft, welche
mich so heruntergebracht und zu meinem Ver¬
gnügen Euer Fett dahin genommen hat. Wenn
wir übrigens jetzt unser Geschäft von Neuem
beginnen wollen, so will ich tapfer dabei sein
und drein beißen! Setzt mir nur eine recht
schöne und große Bratwurst vor, denn ich bin
ganz erschöpft und hungrig!" Da packte Pi¬
neiß den Spiegel wüthend am Kragen, sperrte
ihn in den Gänsestall, der immer leer war, und
schrie: "Da sieh zu, ob Dir Deine süße Ge¬
walt der Leidenschaft noch einmal heraushilft
und ob sie stärker ist, als die Gewalt der Hexe¬
rei und meines rechtlichen Vertrages! Jetzt
heißt's: Vogel friß und stirb!" Sogleich briet
er eine lange Wurst, die so lecker duftete, daß
er sich nicht enthalten konnte, selbst ein Bischen
an beiden Zipfeln zu schlecken, ehe er sie durch
das Gitter steckte. Spiegel fraß sie von vorn
bis hinten auf, und indem er sich behaglich den
Schnurrbart putzte und den Pelz leckte, sagte er
zu sich selber: "Meiner Seel! es ist doch eine
schöne Sache um die Liebe! Die hat mich für
diesmal wieder aus der Schlinge gezogen. Jetzt

allein die ſüße Gewalt der Leidenſchaft, welche
mich ſo heruntergebracht und zu meinem Ver¬
gnügen Euer Fett dahin genommen hat. Wenn
wir übrigens jetzt unſer Geſchäft von Neuem
beginnen wollen, ſo will ich tapfer dabei ſein
und drein beißen! Setzt mir nur eine recht
ſchöne und große Bratwurſt vor, denn ich bin
ganz erſchöpft und hungrig!« Da packte Pi¬
neiß den Spiegel wüthend am Kragen, ſperrte
ihn in den Gänſeſtall, der immer leer war, und
ſchrie: »Da ſieh zu, ob Dir Deine ſüße Ge¬
walt der Leidenſchaft noch einmal heraushilft
und ob ſie ſtärker iſt, als die Gewalt der Hexe¬
rei und meines rechtlichen Vertrages! Jetzt
heißt's: Vogel friß und ſtirb!« Sogleich briet
er eine lange Wurſt, die ſo lecker duftete, daß
er ſich nicht enthalten konnte, ſelbſt ein Bischen
an beiden Zipfeln zu ſchlecken, ehe er ſie durch
das Gitter ſteckte. Spiegel fraß ſie von vorn
bis hinten auf, und indem er ſich behaglich den
Schnurrbart putzte und den Pelz leckte, ſagte er
zu ſich ſelber: »Meiner Seel! es iſt doch eine
ſchöne Sache um die Liebe! Die hat mich für
diesmal wieder aus der Schlinge gezogen. Jetzt

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[471/0483] allein die ſüße Gewalt der Leidenſchaft, welche mich ſo heruntergebracht und zu meinem Ver¬ gnügen Euer Fett dahin genommen hat. Wenn wir übrigens jetzt unſer Geſchäft von Neuem beginnen wollen, ſo will ich tapfer dabei ſein und drein beißen! Setzt mir nur eine recht ſchöne und große Bratwurſt vor, denn ich bin ganz erſchöpft und hungrig!« Da packte Pi¬ neiß den Spiegel wüthend am Kragen, ſperrte ihn in den Gänſeſtall, der immer leer war, und ſchrie: »Da ſieh zu, ob Dir Deine ſüße Ge¬ walt der Leidenſchaft noch einmal heraushilft und ob ſie ſtärker iſt, als die Gewalt der Hexe¬ rei und meines rechtlichen Vertrages! Jetzt heißt's: Vogel friß und ſtirb!« Sogleich briet er eine lange Wurſt, die ſo lecker duftete, daß er ſich nicht enthalten konnte, ſelbſt ein Bischen an beiden Zipfeln zu ſchlecken, ehe er ſie durch das Gitter ſteckte. Spiegel fraß ſie von vorn bis hinten auf, und indem er ſich behaglich den Schnurrbart putzte und den Pelz leckte, ſagte er zu ſich ſelber: »Meiner Seel! es iſt doch eine ſchöne Sache um die Liebe! Die hat mich für diesmal wieder aus der Schlinge gezogen. Jetzt

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/483>, abgerufen am 22.11.2024.