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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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dern stellte vor den Augen des aufmerksamen
Katers alle Geschirre zurecht und machte ein
helles Feuer auf dem Heerd, um den lang er¬
sehnten Gewinn auszukochen. Dann wetzte er
ein großes Messer, öffnete den Kerker, zog Spie¬
gelchen hervor, nachdem er die Küchenthüre wohl
verschlossen, und sagte wohlgemuth: "Komm, Du
Sapperlöter! wir wollen Dir den Kopf abschnei¬
den vor der Hand, und dann das Fell abzie¬
hen! Dieses wird eine warme Mütze für mich
geben, woran ich Einfältiger noch gar nicht ge¬
dacht habe! Oder soll ich Dir erst das Fell ab¬
ziehen und dann den Kopf abschneiden?" "Nein,
wenn es Euch gefällig ist, sagte Spiegel de¬
müthig, lieber zuerst den Kopf abschneiden!"
"Hast Recht, Du armer Kerl!" sagte Herr Pi¬
neiß, "wir wollen Dich nicht unnütz quälen!
Alles was Recht ist!" "Dies ist ein wahres
Wort!" sagte Spiegel mit einem erbärmlichen
Seufzer und legte das Haupt ergebungsvoll auf
die Seite, "o hätt' ich doch jederzeit gethan,
was Recht ist, und nicht eine so wichtige Sache
leichtsinnig unterlassen, so könnte ich jetzt mit
besserem Gewissen sterben, denn ich sterbe gern;

dern ſtellte vor den Augen des aufmerkſamen
Katers alle Geſchirre zurecht und machte ein
helles Feuer auf dem Heerd, um den lang er¬
ſehnten Gewinn auszukochen. Dann wetzte er
ein großes Meſſer, öffnete den Kerker, zog Spie¬
gelchen hervor, nachdem er die Küchenthüre wohl
verſchloſſen, und ſagte wohlgemuth: »Komm, Du
Sapperlöter! wir wollen Dir den Kopf abſchnei¬
den vor der Hand, und dann das Fell abzie¬
hen! Dieſes wird eine warme Mütze für mich
geben, woran ich Einfältiger noch gar nicht ge¬
dacht habe! Oder ſoll ich Dir erſt das Fell ab¬
ziehen und dann den Kopf abſchneiden?« »Nein,
wenn es Euch gefällig iſt, ſagte Spiegel de¬
müthig, lieber zuerſt den Kopf abſchneiden!«
»Haſt Recht, Du armer Kerl!« ſagte Herr Pi¬
neiß, »wir wollen Dich nicht unnütz quälen!
Alles was Recht iſt!« »Dies iſt ein wahres
Wort!« ſagte Spiegel mit einem erbärmlichen
Seufzer und legte das Haupt ergebungsvoll auf
die Seite, »o hätt' ich doch jederzeit gethan,
was Recht iſt, und nicht eine ſo wichtige Sache
leichtſinnig unterlaſſen, ſo könnte ich jetzt mit
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[473/0485] dern ſtellte vor den Augen des aufmerkſamen Katers alle Geſchirre zurecht und machte ein helles Feuer auf dem Heerd, um den lang er¬ ſehnten Gewinn auszukochen. Dann wetzte er ein großes Meſſer, öffnete den Kerker, zog Spie¬ gelchen hervor, nachdem er die Küchenthüre wohl verſchloſſen, und ſagte wohlgemuth: »Komm, Du Sapperlöter! wir wollen Dir den Kopf abſchnei¬ den vor der Hand, und dann das Fell abzie¬ hen! Dieſes wird eine warme Mütze für mich geben, woran ich Einfältiger noch gar nicht ge¬ dacht habe! Oder ſoll ich Dir erſt das Fell ab¬ ziehen und dann den Kopf abſchneiden?« »Nein, wenn es Euch gefällig iſt, ſagte Spiegel de¬ müthig, lieber zuerſt den Kopf abſchneiden!« »Haſt Recht, Du armer Kerl!« ſagte Herr Pi¬ neiß, »wir wollen Dich nicht unnütz quälen! Alles was Recht iſt!« »Dies iſt ein wahres Wort!« ſagte Spiegel mit einem erbärmlichen Seufzer und legte das Haupt ergebungsvoll auf die Seite, »o hätt' ich doch jederzeit gethan, was Recht iſt, und nicht eine ſo wichtige Sache leichtſinnig unterlaſſen, ſo könnte ich jetzt mit beſſerem Gewiſſen ſterben, denn ich ſterbe gern;

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/485>, abgerufen am 22.11.2024.