aber ein Unrecht erschwert mir den sonst so will¬ kommenen Tod, denn was bietet mir das Le¬ ben? Nichts als Furcht, Sorge und Armuth und zur Abwechslung einen Sturm verzehrender Leidenschaft, die noch schlimmer ist, als die stille zitternde Furcht!" "Ei, welches Unrecht, welche wichtige Sache?" fragte Pineiß neugierig. "Ach, was hilft das Reden jetzt noch, seufzte Spiegel, geschehen ist geschehen und jetzt ist Reue zu spät!" "Siehst Du Sappermenter, was für ein Sünder Du bist?" sagte Pineiß, "und wie wohl Du Deinen Tod verdienst? Aber was Tausend hast Du denn angestellt? Hast Du mir vielleicht etwas entwendet, entfremdet, verdorben? Hast Du mir ein himmelschreiendes Unrecht gethan, von dem ich noch gar nichts weiß, ahne, vermuthe, Du Satan? Das sind mir schöne Geschichten! Gut, daß ich noch da¬ hinter komme! Auf der Stelle beichte mir, oder ich schinde und siede Dich lebendig aus? Wirst Du sprechen oder nicht?" "Ach nein!" sagte Spiegel, "wegen Euch habe ich mir nichts vor¬ zuwerfen. Es betrifft die zehntausend Goldgülden meiner seligen Gebieterin -- aber was hilft
aber ein Unrecht erſchwert mir den ſonſt ſo will¬ kommenen Tod, denn was bietet mir das Le¬ ben? Nichts als Furcht, Sorge und Armuth und zur Abwechslung einen Sturm verzehrender Leidenſchaft, die noch ſchlimmer iſt, als die ſtille zitternde Furcht!« »Ei, welches Unrecht, welche wichtige Sache?« fragte Pineiß neugierig. »Ach, was hilft das Reden jetzt noch, ſeufzte Spiegel, geſchehen iſt geſchehen und jetzt iſt Reue zu ſpät!« »Siehſt Du Sappermenter, was für ein Sünder Du biſt?« ſagte Pineiß, »und wie wohl Du Deinen Tod verdienſt? Aber was Tauſend haſt Du denn angeſtellt? Haſt Du mir vielleicht etwas entwendet, entfremdet, verdorben? Haſt Du mir ein himmelſchreiendes Unrecht gethan, von dem ich noch gar nichts weiß, ahne, vermuthe, Du Satan? Das ſind mir ſchöne Geſchichten! Gut, daß ich noch da¬ hinter komme! Auf der Stelle beichte mir, oder ich ſchinde und ſiede Dich lebendig aus? Wirſt Du ſprechen oder nicht?« »Ach nein!« ſagte Spiegel, »wegen Euch habe ich mir nichts vor¬ zuwerfen. Es betrifft die zehntauſend Goldgülden meiner ſeligen Gebieterin — aber was hilft
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aber ein Unrecht erſchwert mir den ſonſt ſo will¬
kommenen Tod, denn was bietet mir das Le¬
ben? Nichts als Furcht, Sorge und Armuth
und zur Abwechslung einen Sturm verzehrender
Leidenſchaft, die noch ſchlimmer iſt, als die
ſtille zitternde Furcht!« »Ei, welches Unrecht,
welche wichtige Sache?« fragte Pineiß neugierig.
»Ach, was hilft das Reden jetzt noch, ſeufzte
Spiegel, geſchehen iſt geſchehen und jetzt iſt
Reue zu ſpät!« »Siehſt Du Sappermenter, was
für ein Sünder Du biſt?« ſagte Pineiß, »und
wie wohl Du Deinen Tod verdienſt? Aber
was Tauſend haſt Du denn angeſtellt? Haſt
Du mir vielleicht etwas entwendet, entfremdet,
verdorben? Haſt Du mir ein himmelſchreiendes
Unrecht gethan, von dem ich noch gar nichts
weiß, ahne, vermuthe, Du Satan? Das ſind
mir ſchöne Geſchichten! Gut, daß ich noch da¬
hinter komme! Auf der Stelle beichte mir, oder
ich ſchinde und ſiede Dich lebendig aus? Wirſt
Du ſprechen oder nicht?« »Ach nein!« ſagte
Spiegel, »wegen Euch habe ich mir nichts vor¬
zuwerfen. Es betrifft die zehntauſend Goldgülden
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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/486>, abgerufen am 22.11.2024.
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