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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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sie nur um ihres Gutes willen. War einer
reich, so glaubte sie, er würde sie doch nicht be¬
gehren, wenn sie nicht auch reich wäre, und von
den Unbemittelten nahm sie vollends als gewiß
an, daß sie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬
ten und sich daran gedächten gütlich zu thun,
und das arme Fräulein, welches doch selbst
so große Dinge auf den irdischen Besitz hielt,
war nicht im Stande, diese Liebe zu Geld und
Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr
selbst zu unterscheiden, oder, wenn sie wirklich
etwa vorhanden war, dieselbe nachzusehen und
zu verzeihen. Mehrere Male war sie schon so
gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich
stärker; aber plötzlich glaubte sie aus irgend ei¬
nem Zuge zu entnehmen, daß sie verrathen sei
und man einzig an ihr Vermögen denke, und sie
brach unverweilt die Geschichte entzwei und zog
sich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück.
Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf
hundert Arten, so daß eine große Gewandtheit
dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und
zuletzt Keiner mehr sich mit einiger Hoffnung
nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener

ſie nur um ihres Gutes willen. War einer
reich, ſo glaubte ſie, er würde ſie doch nicht be¬
gehren, wenn ſie nicht auch reich wäre, und von
den Unbemittelten nahm ſie vollends als gewiß
an, daß ſie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬
ten und ſich daran gedächten gütlich zu thun,
und das arme Fräulein, welches doch ſelbſt
ſo große Dinge auf den irdiſchen Beſitz hielt,
war nicht im Stande, dieſe Liebe zu Geld und
Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr
ſelbſt zu unterſcheiden, oder, wenn ſie wirklich
etwa vorhanden war, dieſelbe nachzuſehen und
zu verzeihen. Mehrere Male war ſie ſchon ſo
gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich
ſtärker; aber plötzlich glaubte ſie aus irgend ei¬
nem Zuge zu entnehmen, daß ſie verrathen ſei
und man einzig an ihr Vermögen denke, und ſie
brach unverweilt die Geſchichte entzwei und zog
ſich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück.
Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf
hundert Arten, ſo daß eine große Gewandtheit
dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und
zuletzt Keiner mehr ſich mit einiger Hoffnung
nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener

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[480/0492] ſie nur um ihres Gutes willen. War einer reich, ſo glaubte ſie, er würde ſie doch nicht be¬ gehren, wenn ſie nicht auch reich wäre, und von den Unbemittelten nahm ſie vollends als gewiß an, daß ſie nur ihre Goldgülden im Auge hät¬ ten und ſich daran gedächten gütlich zu thun, und das arme Fräulein, welches doch ſelbſt ſo große Dinge auf den irdiſchen Beſitz hielt, war nicht im Stande, dieſe Liebe zu Geld und Gut an ihren Freiern von der Liebe zu ihr ſelbſt zu unterſcheiden, oder, wenn ſie wirklich etwa vorhanden war, dieſelbe nachzuſehen und zu verzeihen. Mehrere Male war ſie ſchon ſo gut wie verlobt und ihr Herz klopfte endlich ſtärker; aber plötzlich glaubte ſie aus irgend ei¬ nem Zuge zu entnehmen, daß ſie verrathen ſei und man einzig an ihr Vermögen denke, und ſie brach unverweilt die Geſchichte entzwei und zog ſich voll Schmerzen, aber unerbittlich zurück. Sie prüfte Alle, welche ihr nicht mißfielen, auf hundert Arten, ſo daß eine große Gewandtheit dazu gehörte, nicht in die Falle zu gehen, und zuletzt Keiner mehr ſich mit einiger Hoffnung nähern konnte, als wer ein durchaus geriebener

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 480. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/492>, abgerufen am 22.11.2024.