Ich hingegen hatte mich bald so weit eingeübt, daß ich ihm einigermaßen die Stange halten konnte, ohne ihn des öfteren Sieges zu berau¬ ben, und wenn mein Kopf nicht durch andere Dinge verwirrt worden wäre, so würde ich dem grimmigen Alten bald überlegen geworden sein."
"Dergestalt war ich nun das merkwürdigste Institut von der Welt; ich ging unter diesen Palmen einher gravitätisch und wortlos in mei¬ ner Scharlachuniform, ein leichtes Schilfstöckchen in der Hand und über dem Kopfe ein weißes Tuch zum Schutze gegen die heiße Sonne. Ich war Soldat, Verwaltungsmann, Gärtner, Jäger, Hausfreund und Zeitvertreiber, und zwar ein ganz sonderbarer, da ich nie ein Wort sprach; denn obgleich ich jetzt nicht mehr schmollte und leidlich zufrieden war, so hatte ich mir das Schweigen doch so angewöhnt, daß meine Zunge durch nichts zu bewegen war, als etwa durch ein Kommando¬ wort oder einen Fluch gegen unordentliche Sol¬ daten. Doch diente gerade diese Weise dem Kommandeur, ich blieb so an die fünf Jahre bei ihm einen Tag wie den andern und konnte, wenn ich freie Zeit hatte, im Übrigen thun, was mir
Ich hingegen hatte mich bald ſo weit eingeübt, daß ich ihm einigermaßen die Stange halten konnte, ohne ihn des öfteren Sieges zu berau¬ ben, und wenn mein Kopf nicht durch andere Dinge verwirrt worden wäre, ſo würde ich dem grimmigen Alten bald überlegen geworden ſein.«
»Dergeſtalt war ich nun das merkwürdigſte Inſtitut von der Welt; ich ging unter dieſen Palmen einher gravitätiſch und wortlos in mei¬ ner Scharlachuniform, ein leichtes Schilfſtöckchen in der Hand und über dem Kopfe ein weißes Tuch zum Schutze gegen die heiße Sonne. Ich war Soldat, Verwaltungsmann, Gärtner, Jäger, Hausfreund und Zeitvertreiber, und zwar ein ganz ſonderbarer, da ich nie ein Wort ſprach; denn obgleich ich jetzt nicht mehr ſchmollte und leidlich zufrieden war, ſo hatte ich mir das Schweigen doch ſo angewöhnt, daß meine Zunge durch nichts zu bewegen war, als etwa durch ein Kommando¬ wort oder einen Fluch gegen unordentliche Sol¬ daten. Doch diente gerade dieſe Weiſe dem Kommandeur, ich blieb ſo an die fünf Jahre bei ihm einen Tag wie den andern und konnte, wenn ich freie Zeit hatte, im Übrigen thun, was mir
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0060"n="48"/>
Ich hingegen hatte mich bald ſo weit eingeübt,<lb/>
daß ich ihm einigermaßen die Stange halten<lb/>
konnte, ohne ihn des öfteren Sieges zu berau¬<lb/>
ben, und wenn mein Kopf nicht durch andere<lb/>
Dinge verwirrt worden wäre, ſo würde ich dem<lb/>
grimmigen Alten bald überlegen geworden ſein.«</p><lb/><p>»Dergeſtalt war ich nun das merkwürdigſte<lb/>
Inſtitut von der Welt; ich ging unter dieſen<lb/>
Palmen einher gravitätiſch und wortlos in mei¬<lb/>
ner Scharlachuniform, ein leichtes Schilfſtöckchen<lb/>
in der Hand und über dem Kopfe ein weißes<lb/>
Tuch zum Schutze gegen die heiße Sonne. Ich<lb/>
war Soldat, Verwaltungsmann, Gärtner, Jäger,<lb/>
Hausfreund und Zeitvertreiber, und zwar ein ganz<lb/>ſonderbarer, da ich nie ein Wort ſprach; denn<lb/>
obgleich ich jetzt nicht mehr ſchmollte und leidlich<lb/>
zufrieden war, ſo hatte ich mir das Schweigen<lb/>
doch ſo angewöhnt, daß meine Zunge durch nichts<lb/>
zu bewegen war, als etwa durch ein Kommando¬<lb/>
wort oder einen Fluch gegen unordentliche Sol¬<lb/>
daten. Doch diente gerade dieſe Weiſe dem<lb/>
Kommandeur, ich blieb ſo an die fünf Jahre bei<lb/>
ihm einen Tag wie den andern und konnte, wenn<lb/>
ich freie Zeit hatte, im Übrigen thun, was mir<lb/></p></div></body></text></TEI>
[48/0060]
Ich hingegen hatte mich bald ſo weit eingeübt,
daß ich ihm einigermaßen die Stange halten
konnte, ohne ihn des öfteren Sieges zu berau¬
ben, und wenn mein Kopf nicht durch andere
Dinge verwirrt worden wäre, ſo würde ich dem
grimmigen Alten bald überlegen geworden ſein.«
»Dergeſtalt war ich nun das merkwürdigſte
Inſtitut von der Welt; ich ging unter dieſen
Palmen einher gravitätiſch und wortlos in mei¬
ner Scharlachuniform, ein leichtes Schilfſtöckchen
in der Hand und über dem Kopfe ein weißes
Tuch zum Schutze gegen die heiße Sonne. Ich
war Soldat, Verwaltungsmann, Gärtner, Jäger,
Hausfreund und Zeitvertreiber, und zwar ein ganz
ſonderbarer, da ich nie ein Wort ſprach; denn
obgleich ich jetzt nicht mehr ſchmollte und leidlich
zufrieden war, ſo hatte ich mir das Schweigen
doch ſo angewöhnt, daß meine Zunge durch nichts
zu bewegen war, als etwa durch ein Kommando¬
wort oder einen Fluch gegen unordentliche Sol¬
daten. Doch diente gerade dieſe Weiſe dem
Kommandeur, ich blieb ſo an die fünf Jahre bei
ihm einen Tag wie den andern und konnte, wenn
ich freie Zeit hatte, im Übrigen thun, was mir
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/60>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.