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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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falsche Prophet führte mich schön in die Patsche.
Er schildert nämlich die Welt nach allen Seiten
hin durchaus einzig und wahr wie sie ist, aber
nur wie sie es in den ganzen Menschen ist,
welche im Guten und im Schlechten das Metier
ihres Daseins und ihrer Neigungen vollständig
und charakteristisch betreiben und dabei durch¬
sichtig wie Krystall, jeder vom reinsten Wasser
in seiner Art, so daß, wenn schlechte Skribenten
die Welt der Mittelmäßigkeit und farblosen Halb¬
heit beherrschen und malen und dadurch Schwach¬
köpfe in die Irre führen und mit tausend
unbedeutenden Täuschungen anfüllen, dieser hin¬
gegen eben die Welt des Ganzen und Gelun¬
genen in seiner Art, d. h. wie es sein soll,
beherrscht und dadurch gute Köpfe in die Irre
führt, wenn sie in der Welt dies wesentliche
Leben zu sehen und wiederzufinden glauben. Ach
es ist schon in der Welt, aber nur niemals da,
wo wir eben sind oder dann, wann wir leben.
Es giebt noch verwegene schlimme Weiber genug,
aber ohne den schönen Nachtwandel der Lady
Macbeth und das bange Reiben der kleinen Hand.
Die Giftmischerinnen, die wir treffen, sind nur

falſche Prophet führte mich ſchön in die Patſche.
Er ſchildert nämlich die Welt nach allen Seiten
hin durchaus einzig und wahr wie ſie iſt, aber
nur wie ſie es in den ganzen Menſchen iſt,
welche im Guten und im Schlechten das Metier
ihres Daſeins und ihrer Neigungen vollſtändig
und charakteriſtiſch betreiben und dabei durch¬
ſichtig wie Kryſtall, jeder vom reinſten Waſſer
in ſeiner Art, ſo daß, wenn ſchlechte Skribenten
die Welt der Mittelmäßigkeit und farbloſen Halb¬
heit beherrſchen und malen und dadurch Schwach¬
köpfe in die Irre führen und mit tauſend
unbedeutenden Täuſchungen anfüllen, dieſer hin¬
gegen eben die Welt des Ganzen und Gelun¬
genen in ſeiner Art, d. h. wie es ſein ſoll,
beherrſcht und dadurch gute Köpfe in die Irre
führt, wenn ſie in der Welt dies weſentliche
Leben zu ſehen und wiederzufinden glauben. Ach
es iſt ſchon in der Welt, aber nur niemals da,
wo wir eben ſind oder dann, wann wir leben.
Es giebt noch verwegene ſchlimme Weiber genug,
aber ohne den ſchönen Nachtwandel der Lady
Macbeth und das bange Reiben der kleinen Hand.
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[68/0080] falſche Prophet führte mich ſchön in die Patſche. Er ſchildert nämlich die Welt nach allen Seiten hin durchaus einzig und wahr wie ſie iſt, aber nur wie ſie es in den ganzen Menſchen iſt, welche im Guten und im Schlechten das Metier ihres Daſeins und ihrer Neigungen vollſtändig und charakteriſtiſch betreiben und dabei durch¬ ſichtig wie Kryſtall, jeder vom reinſten Waſſer in ſeiner Art, ſo daß, wenn ſchlechte Skribenten die Welt der Mittelmäßigkeit und farbloſen Halb¬ heit beherrſchen und malen und dadurch Schwach¬ köpfe in die Irre führen und mit tauſend unbedeutenden Täuſchungen anfüllen, dieſer hin¬ gegen eben die Welt des Ganzen und Gelun¬ genen in ſeiner Art, d. h. wie es ſein ſoll, beherrſcht und dadurch gute Köpfe in die Irre führt, wenn ſie in der Welt dies weſentliche Leben zu ſehen und wiederzufinden glauben. Ach es iſt ſchon in der Welt, aber nur niemals da, wo wir eben ſind oder dann, wann wir leben. Es giebt noch verwegene ſchlimme Weiber genug, aber ohne den ſchönen Nachtwandel der Lady Macbeth und das bange Reiben der kleinen Hand. Die Giftmiſcherinnen, die wir treffen, ſind nur

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/80>, abgerufen am 24.11.2024.