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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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war dieser Zweifel an mir selbst, an meinem
persönlichen Wesen, der in mir sich zu regen
begann. Übrigens, bester Freund, empfinde ich
keine Neigung zu Ihnen, so wenig als zu je¬
mand Anderm, und hoffe, daß Sie sich mit aller
Hingebung und Artigkeit, die Sie so eben beur¬
kundet, in das Unabänderliche fügen werden, ohne
mir gram zu sein!"

"Wenn sie geglaubt, daß ich nach dieser un¬
befangenen Eröffnung gänzlich rath- und wehrlos
vor ihr darnieder liegen werde, so hatte sie sich
getäuscht. Vor dem vermeintlich guten und liebe¬
vollen Weibe hatte mein Herz gezittert, vor dem
wilden Thiere dieser falschen gefährlichen Selbst¬
sucht zitterte ich so wenig mehr, als ich es vor
Tigern und Schlangen zu thun gewohnt war.
Im Gegentheil, anstatt verwirrt und verzweifelt
zu sein und die Täuschung nicht aufgeben zu wol¬
len, wie es sonst wohl geschieht in dergleichen
Auftritten, war ich plötzlich so kalt und besonnen,
wie nur ein Mann es sein kann, der auf das
schmählichste beleidigt und beschimpft worden ist,
oder wie ein Jäger es sein kann, der statt eines
edlen scheuen Rehes urplötzlich eine wilde Sau

war dieſer Zweifel an mir ſelbſt, an meinem
perſönlichen Weſen, der in mir ſich zu regen
begann. Übrigens, beſter Freund, empfinde ich
keine Neigung zu Ihnen, ſo wenig als zu je¬
mand Anderm, und hoffe, daß Sie ſich mit aller
Hingebung und Artigkeit, die Sie ſo eben beur¬
kundet, in das Unabänderliche fügen werden, ohne
mir gram zu ſein!«

»Wenn ſie geglaubt, daß ich nach dieſer un¬
befangenen Eröffnung gänzlich rath- und wehrlos
vor ihr darnieder liegen werde, ſo hatte ſie ſich
getäuſcht. Vor dem vermeintlich guten und liebe¬
vollen Weibe hatte mein Herz gezittert, vor dem
wilden Thiere dieſer falſchen gefährlichen Selbſt¬
ſucht zitterte ich ſo wenig mehr, als ich es vor
Tigern und Schlangen zu thun gewohnt war.
Im Gegentheil, anſtatt verwirrt und verzweifelt
zu ſein und die Täuſchung nicht aufgeben zu wol¬
len, wie es ſonſt wohl geſchieht in dergleichen
Auftritten, war ich plötzlich ſo kalt und beſonnen,
wie nur ein Mann es ſein kann, der auf das
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[84/0096] war dieſer Zweifel an mir ſelbſt, an meinem perſönlichen Weſen, der in mir ſich zu regen begann. Übrigens, beſter Freund, empfinde ich keine Neigung zu Ihnen, ſo wenig als zu je¬ mand Anderm, und hoffe, daß Sie ſich mit aller Hingebung und Artigkeit, die Sie ſo eben beur¬ kundet, in das Unabänderliche fügen werden, ohne mir gram zu ſein!« »Wenn ſie geglaubt, daß ich nach dieſer un¬ befangenen Eröffnung gänzlich rath- und wehrlos vor ihr darnieder liegen werde, ſo hatte ſie ſich getäuſcht. Vor dem vermeintlich guten und liebe¬ vollen Weibe hatte mein Herz gezittert, vor dem wilden Thiere dieſer falſchen gefährlichen Selbſt¬ ſucht zitterte ich ſo wenig mehr, als ich es vor Tigern und Schlangen zu thun gewohnt war. Im Gegentheil, anſtatt verwirrt und verzweifelt zu ſein und die Täuſchung nicht aufgeben zu wol¬ len, wie es ſonſt wohl geſchieht in dergleichen Auftritten, war ich plötzlich ſo kalt und beſonnen, wie nur ein Mann es ſein kann, der auf das ſchmählichſte beleidigt und beſchimpft worden iſt, oder wie ein Jäger es ſein kann, der ſtatt eines edlen ſcheuen Rehes urplötzlich eine wilde Sau

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/96>, abgerufen am 24.11.2024.