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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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vor sich sieht. Ein seltsam gemischtes, unheim¬
liches Gefühl von Kälte freilich, wenn ich bei
alledem die Schönheit ansehen mußte, die da vor
mir glänzte. Doch dieses ist das unheimliche
Geheimniß der Schönheit."

"Indessen, wäre ich nicht von der Sonne ganz
braun gebrannt gewesen, so würde ich jetzt den¬
noch so weiß ausgesehen haben, wie die Orange¬
blüthen über mir, als ich ihr nach einigem Schwei¬
gen erwiederte: "Und also um Ihren edlen Glau¬
ben an Ihre Persönlichkeit herzustellen war es
Ihnen möglich, alle Zeichen der reinen und tiefen
Liebe und Selbstentäußerung zu verwenden? Zu
diesem Zwecke gingen Sie mir nach, wie ein un¬
schuldiges Kind, das seine Mutter sucht, redeten
Sie mir fortwährend nach dem Munde, wurden
Sie bleich und leidend, vergossen Sie Thränen
und zeigten eine so goldene und rückhaltlose
Freude, wenn ich mit Ihnen nur ein Wort
sprach?"

"Wenn es so ausgesehen hat, was ich that,"
sagte sie noch immer selbstzufrieden, "so wird es
wohl so sein. Sie sind wohl ein wenig böse,
eitler Mann! daß Sie nun doch nicht der Ge¬

vor ſich ſieht. Ein ſeltſam gemiſchtes, unheim¬
liches Gefühl von Kälte freilich, wenn ich bei
alledem die Schönheit anſehen mußte, die da vor
mir glänzte. Doch dieſes iſt das unheimliche
Geheimniß der Schönheit.«

»Indeſſen, wäre ich nicht von der Sonne ganz
braun gebrannt geweſen, ſo würde ich jetzt den¬
noch ſo weiß ausgeſehen haben, wie die Orange¬
blüthen über mir, als ich ihr nach einigem Schwei¬
gen erwiederte: »Und alſo um Ihren edlen Glau¬
ben an Ihre Perſönlichkeit herzuſtellen war es
Ihnen möglich, alle Zeichen der reinen und tiefen
Liebe und Selbſtentäußerung zu verwenden? Zu
dieſem Zwecke gingen Sie mir nach, wie ein un¬
ſchuldiges Kind, das ſeine Mutter ſucht, redeten
Sie mir fortwährend nach dem Munde, wurden
Sie bleich und leidend, vergoſſen Sie Thränen
und zeigten eine ſo goldene und rückhaltloſe
Freude, wenn ich mit Ihnen nur ein Wort
ſprach?«

»Wenn es ſo ausgeſehen hat, was ich that,«
ſagte ſie noch immer ſelbſtzufrieden, »ſo wird es
wohl ſo ſein. Sie ſind wohl ein wenig böſe,
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[85/0097] vor ſich ſieht. Ein ſeltſam gemiſchtes, unheim¬ liches Gefühl von Kälte freilich, wenn ich bei alledem die Schönheit anſehen mußte, die da vor mir glänzte. Doch dieſes iſt das unheimliche Geheimniß der Schönheit.« »Indeſſen, wäre ich nicht von der Sonne ganz braun gebrannt geweſen, ſo würde ich jetzt den¬ noch ſo weiß ausgeſehen haben, wie die Orange¬ blüthen über mir, als ich ihr nach einigem Schwei¬ gen erwiederte: »Und alſo um Ihren edlen Glau¬ ben an Ihre Perſönlichkeit herzuſtellen war es Ihnen möglich, alle Zeichen der reinen und tiefen Liebe und Selbſtentäußerung zu verwenden? Zu dieſem Zwecke gingen Sie mir nach, wie ein un¬ ſchuldiges Kind, das ſeine Mutter ſucht, redeten Sie mir fortwährend nach dem Munde, wurden Sie bleich und leidend, vergoſſen Sie Thränen und zeigten eine ſo goldene und rückhaltloſe Freude, wenn ich mit Ihnen nur ein Wort ſprach?« »Wenn es ſo ausgeſehen hat, was ich that,« ſagte ſie noch immer ſelbſtzufrieden, »ſo wird es wohl ſo ſein. Sie ſind wohl ein wenig böſe, eitler Mann! daß Sie nun doch nicht der Ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/97>, abgerufen am 21.11.2024.