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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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kehrte sie heim und traf ihren Mann in Geschäften mit
einem Agenten, dem er, wie sie trotz der Erschöpfung
allmälig bemerkte, den Verkauf der ganzen hausräthlichen
Einrichtung, das Verpacken und Spediren der mitzu¬
nehmenden Gegenstände und ähnliche Dinge auftrug. Als
der Agent fort war, sagte Erwin zu Reginen, welche
bleich und stumm in einer Ecke saß: "Du kommst gerade
recht und kannst die Dienstboten auszahlen und entlassen;
es schickt sich das besser für die Frau! Wir reisen nämlich
heut' Abend weg und sind in zwei Tagen auf der See;
denn wir gehen zu meinen Eltern!"

Kein Wort mehr noch weniger sagte er zu ihr und
sie wagte nicht ein einziges zu sprechen. Nur tief auf¬
athmen hörte er sie, wie wenn sie sich durch die Aussicht,
über das Meer zu kommen, erleichtert fühlte.

Am selben Tage noch wurden also Koffer gepackt,
Rechnungen bezahlt und alle die Dinge verrichtet, die
mit einer plötzlichen Abreise verbunden sein mögen. Erwin
brachte dann noch eine halbe Stunde auf der Gesandtschaft
zu, sonst nahm er von Niemandem Abschied. Ich ver¬
nahm von alledem das erste Wort durch die entlassene
Haushälterin, die mich wenige Tage später nochmals auf¬
suchte, um ihr Gewissen zu beschwichtigen, indem sie mir
gestand, sie habe im Tumulte des letzten Nachmittags
während eines stillen Augenblickes dem Erwin mit wenig
Worten leise gesagt, es sei ein einziges Mal in der Nacht
ein fremder Mann da gewesen und von da an sei die

kehrte ſie heim und traf ihren Mann in Geſchäften mit
einem Agenten, dem er, wie ſie trotz der Erſchöpfung
allmälig bemerkte, den Verkauf der ganzen hausräthlichen
Einrichtung, das Verpacken und Spediren der mitzu¬
nehmenden Gegenſtände und ähnliche Dinge auftrug. Als
der Agent fort war, ſagte Erwin zu Reginen, welche
bleich und ſtumm in einer Ecke ſaß: „Du kommſt gerade
recht und kannſt die Dienſtboten auszahlen und entlaſſen;
es ſchickt ſich das beſſer für die Frau! Wir reiſen nämlich
heut' Abend weg und ſind in zwei Tagen auf der See;
denn wir gehen zu meinen Eltern!“

Kein Wort mehr noch weniger ſagte er zu ihr und
ſie wagte nicht ein einziges zu ſprechen. Nur tief auf¬
athmen hörte er ſie, wie wenn ſie ſich durch die Ausſicht,
über das Meer zu kommen, erleichtert fühlte.

Am ſelben Tage noch wurden alſo Koffer gepackt,
Rechnungen bezahlt und alle die Dinge verrichtet, die
mit einer plötzlichen Abreiſe verbunden ſein mögen. Erwin
brachte dann noch eine halbe Stunde auf der Geſandtſchaft
zu, ſonſt nahm er von Niemandem Abſchied. Ich ver¬
nahm von alledem das erſte Wort durch die entlaſſene
Haushälterin, die mich wenige Tage ſpäter nochmals auf¬
ſuchte, um ihr Gewiſſen zu beſchwichtigen, indem ſie mir
geſtand, ſie habe im Tumulte des letzten Nachmittags
während eines ſtillen Augenblickes dem Erwin mit wenig
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[138/0148] kehrte ſie heim und traf ihren Mann in Geſchäften mit einem Agenten, dem er, wie ſie trotz der Erſchöpfung allmälig bemerkte, den Verkauf der ganzen hausräthlichen Einrichtung, das Verpacken und Spediren der mitzu¬ nehmenden Gegenſtände und ähnliche Dinge auftrug. Als der Agent fort war, ſagte Erwin zu Reginen, welche bleich und ſtumm in einer Ecke ſaß: „Du kommſt gerade recht und kannſt die Dienſtboten auszahlen und entlaſſen; es ſchickt ſich das beſſer für die Frau! Wir reiſen nämlich heut' Abend weg und ſind in zwei Tagen auf der See; denn wir gehen zu meinen Eltern!“ Kein Wort mehr noch weniger ſagte er zu ihr und ſie wagte nicht ein einziges zu ſprechen. Nur tief auf¬ athmen hörte er ſie, wie wenn ſie ſich durch die Ausſicht, über das Meer zu kommen, erleichtert fühlte. Am ſelben Tage noch wurden alſo Koffer gepackt, Rechnungen bezahlt und alle die Dinge verrichtet, die mit einer plötzlichen Abreiſe verbunden ſein mögen. Erwin brachte dann noch eine halbe Stunde auf der Geſandtſchaft zu, ſonſt nahm er von Niemandem Abſchied. Ich ver¬ nahm von alledem das erſte Wort durch die entlaſſene Haushälterin, die mich wenige Tage ſpäter nochmals auf¬ ſuchte, um ihr Gewiſſen zu beſchwichtigen, indem ſie mir geſtand, ſie habe im Tumulte des letzten Nachmittags während eines ſtillen Augenblickes dem Erwin mit wenig Worten leiſe geſagt, es ſei ein einziges Mal in der Nacht ein fremder Mann da geweſen und von da an ſei die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/148>, abgerufen am 24.11.2024.