Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

bekommen, that ich es für einige Minuten, und da in¬
sultirte er mich vor dem ganzen Troß mit ehrlosen
Worten, die nur ein Verworfener seiner Frau gegenüber
in den Mund nimmt. Ich stand auf und schwankte zu
meinem in Zuckungen liegenden Kinde.

"Inzwischen fuhr die Gesellschaft wieder davon, wie
sie gekommen war. Nachher starb wie gesagt das Kind;
ich begrub es in der Stille, ohne den Mann zu benach¬
richtigen, und verließ nachher das Lumpenschloß, dessen
Namen mir leider geblieben ist. Durch den Verkauf
meiner mütterlichen Schmucksachen gewann ich die Mittel,
einen Advocaten zu nehmen, der mich von dem Manne
befreite und die Auseinandersetzung besorgte, die damit
endete, daß ich nicht einen Thaler mehr von dem Meinigen
zu sehen bekam. Alles war verschwunden, obschon schwer¬
lich aufgebraucht in so wenig Jahren. Schwendtner wurde
nicht lange nachher wegen einer andern Niederträchtigkeit
aus dem Officierstande gestoßen und soll sich eine Zeit
lang mit meinen Brüdern als Spieler herumgetrieben
haben. Zuletzt sollen alle drei mit einander in's Ge¬
fängniß gekommen sein. Das Gut Lohausen wurde ver¬
kauft und ich behielt nichts als die hausräthliche Ein¬
richtung, mit der ich, wie Sie sehen, mich als Zimmer¬
vermietherin durchzubringen gesucht habe, freilich mit
wenig Glück. Seit zwei Jahren ziehe ich in dieser Stadt,
wo mich Niemand leiden mag, von einem Haus in das
andere, immer von der Angst gehetzt, die Miethe nicht

bekommen, that ich es für einige Minuten, und da in¬
ſultirte er mich vor dem ganzen Troß mit ehrloſen
Worten, die nur ein Verworfener ſeiner Frau gegenüber
in den Mund nimmt. Ich ſtand auf und ſchwankte zu
meinem in Zuckungen liegenden Kinde.

„Inzwiſchen fuhr die Geſellſchaft wieder davon, wie
ſie gekommen war. Nachher ſtarb wie geſagt das Kind;
ich begrub es in der Stille, ohne den Mann zu benach¬
richtigen, und verließ nachher das Lumpenſchloß, deſſen
Namen mir leider geblieben iſt. Durch den Verkauf
meiner mütterlichen Schmuckſachen gewann ich die Mittel,
einen Advocaten zu nehmen, der mich von dem Manne
befreite und die Auseinanderſetzung beſorgte, die damit
endete, daß ich nicht einen Thaler mehr von dem Meinigen
zu ſehen bekam. Alles war verſchwunden, obſchon ſchwer¬
lich aufgebraucht in ſo wenig Jahren. Schwendtner wurde
nicht lange nachher wegen einer andern Niederträchtigkeit
aus dem Officierſtande geſtoßen und ſoll ſich eine Zeit
lang mit meinen Brüdern als Spieler herumgetrieben
haben. Zuletzt ſollen alle drei mit einander in's Ge¬
fängniß gekommen ſein. Das Gut Lohauſen wurde ver¬
kauft und ich behielt nichts als die hausräthliche Ein¬
richtung, mit der ich, wie Sie ſehen, mich als Zimmer¬
vermietherin durchzubringen geſucht habe, freilich mit
wenig Glück. Seit zwei Jahren ziehe ich in dieſer Stadt,
wo mich Niemand leiden mag, von einem Haus in das
andere, immer von der Angſt gehetzt, die Miethe nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0207" n="197"/>
bekommen, that ich es für einige Minuten, und da in¬<lb/>
&#x017F;ultirte er mich vor dem ganzen Troß mit ehrlo&#x017F;en<lb/>
Worten, die nur ein Verworfener &#x017F;einer Frau gegenüber<lb/>
in den Mund nimmt. Ich &#x017F;tand auf und &#x017F;chwankte zu<lb/>
meinem in Zuckungen liegenden Kinde.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Inzwi&#x017F;chen fuhr die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft wieder davon, wie<lb/>
&#x017F;ie gekommen war. Nachher &#x017F;tarb wie ge&#x017F;agt das Kind;<lb/>
ich begrub es in der Stille, ohne den Mann zu benach¬<lb/>
richtigen, und verließ nachher das Lumpen&#x017F;chloß, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Namen mir leider geblieben i&#x017F;t. Durch den Verkauf<lb/>
meiner mütterlichen Schmuck&#x017F;achen gewann ich die Mittel,<lb/>
einen Advocaten zu nehmen, der mich von dem Manne<lb/>
befreite und die Auseinander&#x017F;etzung be&#x017F;orgte, die damit<lb/>
endete, daß ich nicht einen Thaler mehr von dem Meinigen<lb/>
zu &#x017F;ehen bekam. Alles war ver&#x017F;chwunden, ob&#x017F;chon &#x017F;chwer¬<lb/>
lich aufgebraucht in &#x017F;o wenig Jahren. Schwendtner wurde<lb/>
nicht lange nachher wegen einer andern Niederträchtigkeit<lb/>
aus dem Officier&#x017F;tande ge&#x017F;toßen und &#x017F;oll &#x017F;ich eine Zeit<lb/>
lang mit meinen Brüdern als Spieler herumgetrieben<lb/>
haben. Zuletzt &#x017F;ollen alle drei mit einander in's Ge¬<lb/>
fängniß gekommen &#x017F;ein. Das Gut Lohau&#x017F;en wurde ver¬<lb/>
kauft und ich behielt nichts als die hausräthliche Ein¬<lb/>
richtung, mit der ich, wie Sie &#x017F;ehen, mich als Zimmer¬<lb/>
vermietherin durchzubringen ge&#x017F;ucht habe, freilich mit<lb/>
wenig Glück. Seit zwei Jahren ziehe ich in die&#x017F;er Stadt,<lb/>
wo mich Niemand leiden mag, von einem Haus in das<lb/>
andere, immer von der Ang&#x017F;t gehetzt, die Miethe nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0207] bekommen, that ich es für einige Minuten, und da in¬ ſultirte er mich vor dem ganzen Troß mit ehrloſen Worten, die nur ein Verworfener ſeiner Frau gegenüber in den Mund nimmt. Ich ſtand auf und ſchwankte zu meinem in Zuckungen liegenden Kinde. „Inzwiſchen fuhr die Geſellſchaft wieder davon, wie ſie gekommen war. Nachher ſtarb wie geſagt das Kind; ich begrub es in der Stille, ohne den Mann zu benach¬ richtigen, und verließ nachher das Lumpenſchloß, deſſen Namen mir leider geblieben iſt. Durch den Verkauf meiner mütterlichen Schmuckſachen gewann ich die Mittel, einen Advocaten zu nehmen, der mich von dem Manne befreite und die Auseinanderſetzung beſorgte, die damit endete, daß ich nicht einen Thaler mehr von dem Meinigen zu ſehen bekam. Alles war verſchwunden, obſchon ſchwer¬ lich aufgebraucht in ſo wenig Jahren. Schwendtner wurde nicht lange nachher wegen einer andern Niederträchtigkeit aus dem Officierſtande geſtoßen und ſoll ſich eine Zeit lang mit meinen Brüdern als Spieler herumgetrieben haben. Zuletzt ſollen alle drei mit einander in's Ge¬ fängniß gekommen ſein. Das Gut Lohauſen wurde ver¬ kauft und ich behielt nichts als die hausräthliche Ein¬ richtung, mit der ich, wie Sie ſehen, mich als Zimmer¬ vermietherin durchzubringen geſucht habe, freilich mit wenig Glück. Seit zwei Jahren ziehe ich in dieſer Stadt, wo mich Niemand leiden mag, von einem Haus in das andere, immer von der Angſt gehetzt, die Miethe nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/207
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/207>, abgerufen am 24.11.2024.