Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

ihre sichtbare stille Freude über die Fülle und Sicherheit,
in welcher sie sich bewegen könne und zweckmäßig zu
walten berufen sei. Von früh bis spät freue sie sich der
Bewegung, aber ohne alles Geräusch, und lieblich sei es,
wenn sie sich hinwieder eine Stunde der Ruhe überlasse,
fast mehr wie um nicht bemerklich zu sein und Andern
auch Erholung zu gönnen, als wie um selbst zu ruhen.
Auch die Stubenjungfer habe die besten Manieren und
die Küche sei vortrefflich geworden, kurz, der Herr Vater
befinde sich wie im Himmel und fühle sich verjüngt. Fast
beginge er die Thorheit, noch zu heirathen, um die treff¬
liche Person nicht mehr zu verlieren.

Endlich kam ein Brief, in welchem der Vater schrieb,
er habe sich den Gedanken einer Heirath wirklich überlegt
und gefunden, daß der Sohn sie in's Werk setzen müsse.
Denn so liebevoll die Frau von Lohausen für ihn sorge,
hänge ihr Herz jedenfalls am Sohne, er müsse es ihr
angethan haben, das bemerke er wol. Niemals spreche
sie von ihm; aber so oft sein Name genannt werde, er¬
röthe sie ein wenig, gleich einem jungen Mädchen, dem
sie auch in ihrer schlanken und feinen Tournüre ähnlich
sei. Darum wünsche der Vater, daß Brandolf sich ent¬
schließen könnte, den Sprung zu wagen; er hoffe auf keine
bessere Schwiegertochter für seine Verhältnisse.

Brandolf antwortete, er sei es zufrieden. Die Hedwig
sei ihm als Schützling lieb, wie wenn sie sein Kind wäre;
allein er könne sie auch als sein Frauchen lieb haben

ihre ſichtbare ſtille Freude über die Fülle und Sicherheit,
in welcher ſie ſich bewegen könne und zweckmäßig zu
walten berufen ſei. Von früh bis ſpät freue ſie ſich der
Bewegung, aber ohne alles Geräuſch, und lieblich ſei es,
wenn ſie ſich hinwieder eine Stunde der Ruhe überlaſſe,
faſt mehr wie um nicht bemerklich zu ſein und Andern
auch Erholung zu gönnen, als wie um ſelbſt zu ruhen.
Auch die Stubenjungfer habe die beſten Manieren und
die Küche ſei vortrefflich geworden, kurz, der Herr Vater
befinde ſich wie im Himmel und fühle ſich verjüngt. Faſt
beginge er die Thorheit, noch zu heirathen, um die treff¬
liche Perſon nicht mehr zu verlieren.

Endlich kam ein Brief, in welchem der Vater ſchrieb,
er habe ſich den Gedanken einer Heirath wirklich überlegt
und gefunden, daß der Sohn ſie in's Werk ſetzen müſſe.
Denn ſo liebevoll die Frau von Lohauſen für ihn ſorge,
hänge ihr Herz jedenfalls am Sohne, er müſſe es ihr
angethan haben, das bemerke er wol. Niemals ſpreche
ſie von ihm; aber ſo oft ſein Name genannt werde, er¬
röthe ſie ein wenig, gleich einem jungen Mädchen, dem
ſie auch in ihrer ſchlanken und feinen Tournüre ähnlich
ſei. Darum wünſche der Vater, daß Brandolf ſich ent¬
ſchließen könnte, den Sprung zu wagen; er hoffe auf keine
beſſere Schwiegertochter für ſeine Verhältniſſe.

Brandolf antwortete, er ſei es zufrieden. Die Hedwig
ſei ihm als Schützling lieb, wie wenn ſie ſein Kind wäre;
allein er könne ſie auch als ſein Frauchen lieb haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0210" n="200"/>
ihre &#x017F;ichtbare &#x017F;tille Freude über die Fülle und Sicherheit,<lb/>
in welcher &#x017F;ie &#x017F;ich bewegen könne und zweckmäßig zu<lb/>
walten berufen &#x017F;ei. Von früh bis &#x017F;pät freue &#x017F;ie &#x017F;ich der<lb/>
Bewegung, aber ohne alles Geräu&#x017F;ch, und lieblich &#x017F;ei es,<lb/>
wenn &#x017F;ie &#x017F;ich hinwieder eine Stunde der Ruhe überla&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
fa&#x017F;t mehr wie um nicht bemerklich zu &#x017F;ein und Andern<lb/>
auch Erholung zu gönnen, als wie um &#x017F;elb&#x017F;t zu ruhen.<lb/>
Auch die Stubenjungfer habe die be&#x017F;ten Manieren und<lb/>
die Küche &#x017F;ei vortrefflich geworden, kurz, der Herr Vater<lb/>
befinde &#x017F;ich wie im Himmel und fühle &#x017F;ich verjüngt. Fa&#x017F;t<lb/>
beginge er die Thorheit, noch zu heirathen, um die treff¬<lb/>
liche Per&#x017F;on nicht mehr zu verlieren.</p><lb/>
          <p>Endlich kam ein Brief, in welchem der Vater &#x017F;chrieb,<lb/>
er habe &#x017F;ich den Gedanken einer Heirath wirklich überlegt<lb/>
und gefunden, daß der Sohn &#x017F;ie in's Werk &#x017F;etzen mü&#x017F;&#x017F;e.<lb/>
Denn &#x017F;o liebevoll die Frau von Lohau&#x017F;en für ihn &#x017F;orge,<lb/>
hänge ihr Herz jedenfalls am Sohne, er mü&#x017F;&#x017F;e es ihr<lb/>
angethan haben, das bemerke er wol. Niemals &#x017F;preche<lb/>
&#x017F;ie von ihm; aber &#x017F;o oft &#x017F;ein Name genannt werde, er¬<lb/>
röthe &#x017F;ie ein wenig, gleich einem jungen Mädchen, dem<lb/>
&#x017F;ie auch in ihrer &#x017F;chlanken und feinen Tournüre ähnlich<lb/>
&#x017F;ei. Darum wün&#x017F;che der Vater, daß Brandolf &#x017F;ich ent¬<lb/>
&#x017F;chließen könnte, den Sprung zu wagen; er hoffe auf keine<lb/>
be&#x017F;&#x017F;ere Schwiegertochter für &#x017F;eine Verhältni&#x017F;&#x017F;e.</p><lb/>
          <p>Brandolf antwortete, er &#x017F;ei es zufrieden. Die Hedwig<lb/>
&#x017F;ei ihm als Schützling lieb, wie wenn &#x017F;ie &#x017F;ein Kind wäre;<lb/>
allein er könne &#x017F;ie auch als &#x017F;ein Frauchen lieb haben<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0210] ihre ſichtbare ſtille Freude über die Fülle und Sicherheit, in welcher ſie ſich bewegen könne und zweckmäßig zu walten berufen ſei. Von früh bis ſpät freue ſie ſich der Bewegung, aber ohne alles Geräuſch, und lieblich ſei es, wenn ſie ſich hinwieder eine Stunde der Ruhe überlaſſe, faſt mehr wie um nicht bemerklich zu ſein und Andern auch Erholung zu gönnen, als wie um ſelbſt zu ruhen. Auch die Stubenjungfer habe die beſten Manieren und die Küche ſei vortrefflich geworden, kurz, der Herr Vater befinde ſich wie im Himmel und fühle ſich verjüngt. Faſt beginge er die Thorheit, noch zu heirathen, um die treff¬ liche Perſon nicht mehr zu verlieren. Endlich kam ein Brief, in welchem der Vater ſchrieb, er habe ſich den Gedanken einer Heirath wirklich überlegt und gefunden, daß der Sohn ſie in's Werk ſetzen müſſe. Denn ſo liebevoll die Frau von Lohauſen für ihn ſorge, hänge ihr Herz jedenfalls am Sohne, er müſſe es ihr angethan haben, das bemerke er wol. Niemals ſpreche ſie von ihm; aber ſo oft ſein Name genannt werde, er¬ röthe ſie ein wenig, gleich einem jungen Mädchen, dem ſie auch in ihrer ſchlanken und feinen Tournüre ähnlich ſei. Darum wünſche der Vater, daß Brandolf ſich ent¬ ſchließen könnte, den Sprung zu wagen; er hoffe auf keine beſſere Schwiegertochter für ſeine Verhältniſſe. Brandolf antwortete, er ſei es zufrieden. Die Hedwig ſei ihm als Schützling lieb, wie wenn ſie ſein Kind wäre; allein er könne ſie auch als ſein Frauchen lieb haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/210
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/210>, abgerufen am 21.11.2024.