Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

vorgebe? Ihres Theiles befürchte sie, allerdings gegen
alle Vernunft, daß doch dies oder jenes möglich sein
könnte, und für diesen Fall wäre es ihr mehr um die
Eltern zu thun, sowie um die übrigen Verwandten und
Freunde, denen der Aufenthalt in dem verrufenen Ge¬
bäude kein Vergnügen mehr machen würde. Die Vor¬
nahme der baulichen Wiederherstellungen schiene unter
solchen Umständen geradezu nicht mehr rathsam, und der¬
gleichen mehr.

Jetzt schaute Mannelin die Sprecherin mit ebenso
besorgtem als liebevollem Blicke an. Ihn bekümmerte,
daß sie solchem Unsinn zugänglich schien. Sie las die
Sorgen in seinen Augen und blickte wahrscheinlich hierfür
wieder dankbar zurück; doch verharrte sie in ihrem Zweifel
und sagte nach fernerem Nachdenken:

"Ich muß doch wenigstens wissen, ob Andere in dem
alten Gemache eine ähnliche Erfahrung machen, oder ob
es wirklich nur der Rittmeister ist, der etwas sieht. Ich
werde den Johann beauftragen, dort eine Nacht zuzu¬
bringen."

"Der alte Johann", sagte Mannelin, "wird natürlich
so viele Geister sehen, als man wünscht oder fürchtet!
Wenn Sie einen zuverlässigen Bericht wollen, so lassen
Sie die Stube für mich zurecht machen! Ich will mich in
Gottes Namen der curiosen Aufgabe unterziehen, wenn
durchaus etwas geschehen soll!"

"Sie?" rief Hildeburg, "nein, Sie dürfen es nicht

vorgebe? Ihres Theiles befürchte ſie, allerdings gegen
alle Vernunft, daß doch dies oder jenes möglich ſein
könnte, und für dieſen Fall wäre es ihr mehr um die
Eltern zu thun, ſowie um die übrigen Verwandten und
Freunde, denen der Aufenthalt in dem verrufenen Ge¬
bäude kein Vergnügen mehr machen würde. Die Vor¬
nahme der baulichen Wiederherſtellungen ſchiene unter
ſolchen Umſtänden geradezu nicht mehr rathſam, und der¬
gleichen mehr.

Jetzt ſchaute Mannelin die Sprecherin mit ebenſo
beſorgtem als liebevollem Blicke an. Ihn bekümmerte,
daß ſie ſolchem Unſinn zugänglich ſchien. Sie las die
Sorgen in ſeinen Augen und blickte wahrſcheinlich hierfür
wieder dankbar zurück; doch verharrte ſie in ihrem Zweifel
und ſagte nach fernerem Nachdenken:

„Ich muß doch wenigſtens wiſſen, ob Andere in dem
alten Gemache eine ähnliche Erfahrung machen, oder ob
es wirklich nur der Rittmeiſter iſt, der etwas ſieht. Ich
werde den Johann beauftragen, dort eine Nacht zuzu¬
bringen.“

„Der alte Johann“, ſagte Mannelin, „wird natürlich
ſo viele Geiſter ſehen, als man wünſcht oder fürchtet!
Wenn Sie einen zuverläſſigen Bericht wollen, ſo laſſen
Sie die Stube für mich zurecht machen! Ich will mich in
Gottes Namen der curioſen Aufgabe unterziehen, wenn
durchaus etwas geſchehen ſoll!“

„Sie?“ rief Hildeburg, „nein, Sie dürfen es nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0260" n="250"/>
vorgebe? Ihres Theiles befürchte &#x017F;ie, allerdings gegen<lb/>
alle Vernunft, daß doch dies oder jenes möglich &#x017F;ein<lb/>
könnte, und für die&#x017F;en Fall wäre es ihr mehr um die<lb/>
Eltern zu thun, &#x017F;owie um die übrigen Verwandten und<lb/>
Freunde, denen der Aufenthalt in dem verrufenen Ge¬<lb/>
bäude kein Vergnügen mehr machen würde. Die Vor¬<lb/>
nahme der baulichen Wiederher&#x017F;tellungen &#x017F;chiene unter<lb/>
&#x017F;olchen Um&#x017F;tänden geradezu nicht mehr rath&#x017F;am, und der¬<lb/>
gleichen mehr.</p><lb/>
          <p>Jetzt &#x017F;chaute Mannelin die Sprecherin mit eben&#x017F;o<lb/>
be&#x017F;orgtem als liebevollem Blicke an. Ihn bekümmerte,<lb/>
daß &#x017F;ie &#x017F;olchem Un&#x017F;inn zugänglich &#x017F;chien. Sie las die<lb/>
Sorgen in &#x017F;einen Augen und blickte wahr&#x017F;cheinlich hierfür<lb/>
wieder dankbar zurück; doch verharrte &#x017F;ie in ihrem Zweifel<lb/>
und &#x017F;agte nach fernerem Nachdenken:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Ich muß doch wenig&#x017F;tens wi&#x017F;&#x017F;en, ob Andere in dem<lb/>
alten Gemache eine ähnliche Erfahrung machen, oder ob<lb/>
es wirklich nur der Rittmei&#x017F;ter i&#x017F;t, der etwas &#x017F;ieht. Ich<lb/>
werde den Johann beauftragen, dort eine Nacht zuzu¬<lb/>
bringen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Der alte Johann&#x201C;, &#x017F;agte Mannelin, &#x201E;wird natürlich<lb/>
&#x017F;o viele Gei&#x017F;ter &#x017F;ehen, als man wün&#x017F;cht oder fürchtet!<lb/>
Wenn Sie einen zuverlä&#x017F;&#x017F;igen Bericht wollen, &#x017F;o la&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Sie die Stube für mich zurecht machen! Ich will mich in<lb/>
Gottes Namen der curio&#x017F;en Aufgabe unterziehen, wenn<lb/>
durchaus etwas ge&#x017F;chehen &#x017F;oll!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Sie?&#x201C; rief Hildeburg, &#x201E;nein, Sie dürfen es nicht<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[250/0260] vorgebe? Ihres Theiles befürchte ſie, allerdings gegen alle Vernunft, daß doch dies oder jenes möglich ſein könnte, und für dieſen Fall wäre es ihr mehr um die Eltern zu thun, ſowie um die übrigen Verwandten und Freunde, denen der Aufenthalt in dem verrufenen Ge¬ bäude kein Vergnügen mehr machen würde. Die Vor¬ nahme der baulichen Wiederherſtellungen ſchiene unter ſolchen Umſtänden geradezu nicht mehr rathſam, und der¬ gleichen mehr. Jetzt ſchaute Mannelin die Sprecherin mit ebenſo beſorgtem als liebevollem Blicke an. Ihn bekümmerte, daß ſie ſolchem Unſinn zugänglich ſchien. Sie las die Sorgen in ſeinen Augen und blickte wahrſcheinlich hierfür wieder dankbar zurück; doch verharrte ſie in ihrem Zweifel und ſagte nach fernerem Nachdenken: „Ich muß doch wenigſtens wiſſen, ob Andere in dem alten Gemache eine ähnliche Erfahrung machen, oder ob es wirklich nur der Rittmeiſter iſt, der etwas ſieht. Ich werde den Johann beauftragen, dort eine Nacht zuzu¬ bringen.“ „Der alte Johann“, ſagte Mannelin, „wird natürlich ſo viele Geiſter ſehen, als man wünſcht oder fürchtet! Wenn Sie einen zuverläſſigen Bericht wollen, ſo laſſen Sie die Stube für mich zurecht machen! Ich will mich in Gottes Namen der curioſen Aufgabe unterziehen, wenn durchaus etwas geſchehen ſoll!“ „Sie?“ rief Hildeburg, „nein, Sie dürfen es nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/260
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/260>, abgerufen am 22.11.2024.