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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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thun! Sie sind mir zu gut dazu! Wenn dennoch etwas
an der Sache wäre, so könnte der Eindruck auf Sie
gerade noch ein viel stärkerer sein, als bei unserem
Freunde, und Ihnen ernstlich schaden!"

Mannelin blieb aber bei seinem Vorsatze, und so ließ
er sich, als gegen elf Uhr man allerseits schlafen ging,
in das Gemach leuchten, in welchem ich die letzte Nacht
zugebracht hatte.

"Wollen Sie nicht wenigstens Ihren Degen und die
Pistolen mitnehmen?" sagte der Diener, der aus dem
früheren Zimmer die nöthigen Sachen trug und von dem
Vorhaben unterrichtet war.

"Nein!" antwortete Mannelin; "gegen Geister würden
die Waffen nichts helfen, und wenn allenfalls lebendige
Leute einen Unfug treiben, so muß man nicht gleich Blut
vergießen!"

Genug, mein Mannelin befand sich endlich, gleich mir,
allein in dem unheimlichen Zimmer. Er ging mit dem
Leuchter darin herum, verriegelte die Thüre und legte
sich halbangekleidet zu Bett, nachdem er den Tisch an
dasselbe gerückt. Dann las er eine Stunde oder länger,
bis es am Thurme Mitternacht schlug. Dann klappte er
das Buch zu und horchte noch eine Weile mit offenen
Augen. Als aber alles still blieb, wurde ihm das Ding
langweilig; er löschte das Licht, legte sich auf die Seite
und schlief ein. Kaum hatte er einige Minuten geschlafen,
so erfolgte zwar kein Knall, wie gestern, allein es klopfte

thun! Sie ſind mir zu gut dazu! Wenn dennoch etwas
an der Sache wäre, ſo könnte der Eindruck auf Sie
gerade noch ein viel ſtärkerer ſein, als bei unſerem
Freunde, und Ihnen ernſtlich ſchaden!“

Mannelin blieb aber bei ſeinem Vorſatze, und ſo ließ
er ſich, als gegen elf Uhr man allerſeits ſchlafen ging,
in das Gemach leuchten, in welchem ich die letzte Nacht
zugebracht hatte.

„Wollen Sie nicht wenigſtens Ihren Degen und die
Piſtolen mitnehmen?“ ſagte der Diener, der aus dem
früheren Zimmer die nöthigen Sachen trug und von dem
Vorhaben unterrichtet war.

„Nein!“ antwortete Mannelin; „gegen Geiſter würden
die Waffen nichts helfen, und wenn allenfalls lebendige
Leute einen Unfug treiben, ſo muß man nicht gleich Blut
vergießen!“

Genug, mein Mannelin befand ſich endlich, gleich mir,
allein in dem unheimlichen Zimmer. Er ging mit dem
Leuchter darin herum, verriegelte die Thüre und legte
ſich halbangekleidet zu Bett, nachdem er den Tiſch an
daſſelbe gerückt. Dann las er eine Stunde oder länger,
bis es am Thurme Mitternacht ſchlug. Dann klappte er
das Buch zu und horchte noch eine Weile mit offenen
Augen. Als aber alles ſtill blieb, wurde ihm das Ding
langweilig; er löſchte das Licht, legte ſich auf die Seite
und ſchlief ein. Kaum hatte er einige Minuten geſchlafen,
ſo erfolgte zwar kein Knall, wie geſtern, allein es klopfte

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[251/0261] thun! Sie ſind mir zu gut dazu! Wenn dennoch etwas an der Sache wäre, ſo könnte der Eindruck auf Sie gerade noch ein viel ſtärkerer ſein, als bei unſerem Freunde, und Ihnen ernſtlich ſchaden!“ Mannelin blieb aber bei ſeinem Vorſatze, und ſo ließ er ſich, als gegen elf Uhr man allerſeits ſchlafen ging, in das Gemach leuchten, in welchem ich die letzte Nacht zugebracht hatte. „Wollen Sie nicht wenigſtens Ihren Degen und die Piſtolen mitnehmen?“ ſagte der Diener, der aus dem früheren Zimmer die nöthigen Sachen trug und von dem Vorhaben unterrichtet war. „Nein!“ antwortete Mannelin; „gegen Geiſter würden die Waffen nichts helfen, und wenn allenfalls lebendige Leute einen Unfug treiben, ſo muß man nicht gleich Blut vergießen!“ Genug, mein Mannelin befand ſich endlich, gleich mir, allein in dem unheimlichen Zimmer. Er ging mit dem Leuchter darin herum, verriegelte die Thüre und legte ſich halbangekleidet zu Bett, nachdem er den Tiſch an daſſelbe gerückt. Dann las er eine Stunde oder länger, bis es am Thurme Mitternacht ſchlug. Dann klappte er das Buch zu und horchte noch eine Weile mit offenen Augen. Als aber alles ſtill blieb, wurde ihm das Ding langweilig; er löſchte das Licht, legte ſich auf die Seite und ſchlief ein. Kaum hatte er einige Minuten geſchlafen, ſo erfolgte zwar kein Knall, wie geſtern, allein es klopfte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/261>, abgerufen am 22.11.2024.