Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Zimmerchen, um schnell die unverhofften Ereignisse in ihr
Tagebuch einzutragen; auch schrieb sie rasch einen Brief.

Inzwischen ging auch Reinhart hinunter, um das
Pferd vorläufig bereit zu machen. Dieses hatte sich das
Gießkännchen an die Nase geklemmt und am Gießkännchen
hing das Strickkörbchen, und beide Dinge suchte das ver¬
legene Thier unmuthvoll abzuschlenkern, ohne daß es ihm
gelingen wollte. Reinhart lachte so laut, daß die Tochter
es augenblicklich hörte und durch das Fenster sah. Als
sie das Abenteuer entdeckte, kam sie eilig herunter, nahm
sich ein Herz und bat Reinhart beinahe zitternd, daß er
ihren Eltern und Niemand etwas davon sagen möchte, da
es ihr für lange Zeit zum Aufsehen und zur Lächerlichkeit
gereichen würde. Er beruhigte sie höflich und so gut er
konnte, und sie eilte mit Körbchen und Kanne wie ein
Reh davon, sie zu verbergen. Doch zeigte sie sich bald
wieder hinter einem Fliederbusche und schien ein bedeuten¬
des Anliegen auf dem Herzen zu haben. Reinhart schlüpfte
hinter den Busch; sie zog einen sorgfältig versiegelten,
mit prachtvoller Adresse versehenen Brief aus der Tasche,
den sie ihm mit der geflüsterten Bitte überreichte, das
Schreiben, welches einen Gruß und wichtigen Auftrag
enthielte, doch ja unfehlbar an eine Freundin zu bestellen,
die unweit von seinem Reisepfade wohne.

Ebenso flüsternd und bedeutsam theilte ihr Reinhart
mit, daß er sie in Folge eines heiligen Gelübdes ohne
Widerrede küssen müsse. Sie wollte sogleich entfliehen;

Zimmerchen, um ſchnell die unverhofften Ereigniſſe in ihr
Tagebuch einzutragen; auch ſchrieb ſie raſch einen Brief.

Inzwiſchen ging auch Reinhart hinunter, um das
Pferd vorläufig bereit zu machen. Dieſes hatte ſich das
Gießkännchen an die Naſe geklemmt und am Gießkännchen
hing das Strickkörbchen, und beide Dinge ſuchte das ver¬
legene Thier unmuthvoll abzuſchlenkern, ohne daß es ihm
gelingen wollte. Reinhart lachte ſo laut, daß die Tochter
es augenblicklich hörte und durch das Fenſter ſah. Als
ſie das Abenteuer entdeckte, kam ſie eilig herunter, nahm
ſich ein Herz und bat Reinhart beinahe zitternd, daß er
ihren Eltern und Niemand etwas davon ſagen möchte, da
es ihr für lange Zeit zum Aufſehen und zur Lächerlichkeit
gereichen würde. Er beruhigte ſie höflich und ſo gut er
konnte, und ſie eilte mit Körbchen und Kanne wie ein
Reh davon, ſie zu verbergen. Doch zeigte ſie ſich bald
wieder hinter einem Fliederbuſche und ſchien ein bedeuten¬
des Anliegen auf dem Herzen zu haben. Reinhart ſchlüpfte
hinter den Buſch; ſie zog einen ſorgfältig verſiegelten,
mit prachtvoller Adreſſe verſehenen Brief aus der Taſche,
den ſie ihm mit der geflüſterten Bitte überreichte, das
Schreiben, welches einen Gruß und wichtigen Auftrag
enthielte, doch ja unfehlbar an eine Freundin zu beſtellen,
die unweit von ſeinem Reiſepfade wohne.

Ebenſo flüſternd und bedeutſam theilte ihr Reinhart
mit, daß er ſie in Folge eines heiligen Gelübdes ohne
Widerrede küſſen müſſe. Sie wollte ſogleich entfliehen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0028" n="18"/>
Zimmerchen, um &#x017F;chnell die unverhofften Ereigni&#x017F;&#x017F;e in ihr<lb/>
Tagebuch einzutragen; auch &#x017F;chrieb &#x017F;ie ra&#x017F;ch einen Brief.</p><lb/>
          <p>Inzwi&#x017F;chen ging auch Reinhart hinunter, um das<lb/>
Pferd vorläufig bereit zu machen. Die&#x017F;es hatte &#x017F;ich das<lb/>
Gießkännchen an die Na&#x017F;e geklemmt und am Gießkännchen<lb/>
hing das Strickkörbchen, und beide Dinge &#x017F;uchte das ver¬<lb/>
legene Thier unmuthvoll abzu&#x017F;chlenkern, ohne daß es ihm<lb/>
gelingen wollte. Reinhart lachte &#x017F;o laut, daß die Tochter<lb/>
es augenblicklich hörte und durch das Fen&#x017F;ter &#x017F;ah. Als<lb/>
&#x017F;ie das Abenteuer entdeckte, kam &#x017F;ie eilig herunter, nahm<lb/>
&#x017F;ich ein Herz und bat Reinhart beinahe zitternd, daß er<lb/>
ihren Eltern und Niemand etwas davon &#x017F;agen möchte, da<lb/>
es ihr für lange Zeit zum Auf&#x017F;ehen und zur Lächerlichkeit<lb/>
gereichen würde. Er beruhigte &#x017F;ie höflich und &#x017F;o gut er<lb/>
konnte, und &#x017F;ie eilte mit Körbchen und Kanne wie ein<lb/>
Reh davon, &#x017F;ie zu verbergen. Doch zeigte &#x017F;ie &#x017F;ich bald<lb/>
wieder hinter einem Fliederbu&#x017F;che und &#x017F;chien ein bedeuten¬<lb/>
des Anliegen auf dem Herzen zu haben. Reinhart &#x017F;chlüpfte<lb/>
hinter den Bu&#x017F;ch; &#x017F;ie zog einen &#x017F;orgfältig ver&#x017F;iegelten,<lb/>
mit prachtvoller Adre&#x017F;&#x017F;e ver&#x017F;ehenen Brief aus der Ta&#x017F;che,<lb/>
den &#x017F;ie ihm mit der geflü&#x017F;terten Bitte überreichte, das<lb/>
Schreiben, welches einen Gruß und wichtigen Auftrag<lb/>
enthielte, doch ja unfehlbar an eine Freundin zu be&#x017F;tellen,<lb/>
die unweit von &#x017F;einem Rei&#x017F;epfade wohne.</p><lb/>
          <p>Eben&#x017F;o flü&#x017F;ternd und bedeut&#x017F;am theilte ihr Reinhart<lb/>
mit, daß er &#x017F;ie in Folge eines heiligen Gelübdes ohne<lb/>
Widerrede kü&#x017F;&#x017F;en mü&#x017F;&#x017F;e. Sie wollte &#x017F;ogleich entfliehen;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0028] Zimmerchen, um ſchnell die unverhofften Ereigniſſe in ihr Tagebuch einzutragen; auch ſchrieb ſie raſch einen Brief. Inzwiſchen ging auch Reinhart hinunter, um das Pferd vorläufig bereit zu machen. Dieſes hatte ſich das Gießkännchen an die Naſe geklemmt und am Gießkännchen hing das Strickkörbchen, und beide Dinge ſuchte das ver¬ legene Thier unmuthvoll abzuſchlenkern, ohne daß es ihm gelingen wollte. Reinhart lachte ſo laut, daß die Tochter es augenblicklich hörte und durch das Fenſter ſah. Als ſie das Abenteuer entdeckte, kam ſie eilig herunter, nahm ſich ein Herz und bat Reinhart beinahe zitternd, daß er ihren Eltern und Niemand etwas davon ſagen möchte, da es ihr für lange Zeit zum Aufſehen und zur Lächerlichkeit gereichen würde. Er beruhigte ſie höflich und ſo gut er konnte, und ſie eilte mit Körbchen und Kanne wie ein Reh davon, ſie zu verbergen. Doch zeigte ſie ſich bald wieder hinter einem Fliederbuſche und ſchien ein bedeuten¬ des Anliegen auf dem Herzen zu haben. Reinhart ſchlüpfte hinter den Buſch; ſie zog einen ſorgfältig verſiegelten, mit prachtvoller Adreſſe verſehenen Brief aus der Taſche, den ſie ihm mit der geflüſterten Bitte überreichte, das Schreiben, welches einen Gruß und wichtigen Auftrag enthielte, doch ja unfehlbar an eine Freundin zu beſtellen, die unweit von ſeinem Reiſepfade wohne. Ebenſo flüſternd und bedeutſam theilte ihr Reinhart mit, daß er ſie in Folge eines heiligen Gelübdes ohne Widerrede küſſen müſſe. Sie wollte ſogleich entfliehen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/28
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/28>, abgerufen am 28.04.2024.