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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Geschäfte zu besorgen und ihren Leuten einige Zerstreuung
zu gönnen, so wüßte man überhaupt nichts von ihr. In
Lissabon mache sie nur wenige Besuche und auf ihre Be¬
sitzungen habe sie noch nie Jemanden eingeladen. Uebrigens
sei sie musterhaft religiös und versäume keinen Morgen
die heilige Messe; daher beruhe es jedenfalls auf boshafter
Verläumdung, wenn hie und da gemunkelt werde, man
halte sie für eine Hexe und ihre Dienerschaft für ein
Häuflein böser Geister.

Als Don Correa hiemit genugsam unterrichtet war,
verließ er die Herberge, um andern Tages desto früher
bei der Hand zu sein. Er verwandelte sich in einen
halbschwarzen maurischen Matrosen und belagerte das
Schiff des Königs, bis die Herrschaft aus der Thüre
trat und die Maulthiere bestieg. Im gleichen Aufzuge
wie gestern, ein Maulthier mit der Nase am Schwanze
des andern, ritt die Dame nach der großen Kathedralkirche
und Correa folgte. Da er sah, daß am Portale niemand
bei der Hand war, die Maulthiere zu halten, drängte er
sich hinzu und anerbot, den Dienst zu leisten, der ihm
vom Stallmeister auch übertragen wurde. Der junge Kriegs¬
mann war seiner Zeit und Geburt gemäß ein guter Katholik;
es gefiel ihm daher sehr gut, daß die Frau von Cercal
ihre Dienerschaft so vollzählig mit in die Messe nahm und
an dem Segen der Religion theilnehmen ließ, und das
Gemunkel von einem Zauberwesen erhöhte unter diesen
Umständen eher seine Theilnahme, als daß es ihn abschreckte.

Keller, Sinngedicht. 18

Geſchäfte zu beſorgen und ihren Leuten einige Zerſtreuung
zu gönnen, ſo wüßte man überhaupt nichts von ihr. In
Liſſabon mache ſie nur wenige Beſuche und auf ihre Be¬
ſitzungen habe ſie noch nie Jemanden eingeladen. Uebrigens
ſei ſie muſterhaft religiös und verſäume keinen Morgen
die heilige Meſſe; daher beruhe es jedenfalls auf boshafter
Verläumdung, wenn hie und da gemunkelt werde, man
halte ſie für eine Hexe und ihre Dienerſchaft für ein
Häuflein böſer Geiſter.

Als Don Correa hiemit genugſam unterrichtet war,
verließ er die Herberge, um andern Tages deſto früher
bei der Hand zu ſein. Er verwandelte ſich in einen
halbſchwarzen mauriſchen Matroſen und belagerte das
Schiff des Königs, bis die Herrſchaft aus der Thüre
trat und die Maulthiere beſtieg. Im gleichen Aufzuge
wie geſtern, ein Maulthier mit der Naſe am Schwanze
des andern, ritt die Dame nach der großen Kathedralkirche
und Correa folgte. Da er ſah, daß am Portale niemand
bei der Hand war, die Maulthiere zu halten, drängte er
ſich hinzu und anerbot, den Dienſt zu leiſten, der ihm
vom Stallmeiſter auch übertragen wurde. Der junge Kriegs¬
mann war ſeiner Zeit und Geburt gemäß ein guter Katholik;
es gefiel ihm daher ſehr gut, daß die Frau von Cercal
ihre Dienerſchaft ſo vollzählig mit in die Meſſe nahm und
an dem Segen der Religion theilnehmen ließ, und das
Gemunkel von einem Zauberweſen erhöhte unter dieſen
Umſtänden eher ſeine Theilnahme, als daß es ihn abſchreckte.

Keller, Sinngedicht. 18
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[273/0283] Geſchäfte zu beſorgen und ihren Leuten einige Zerſtreuung zu gönnen, ſo wüßte man überhaupt nichts von ihr. In Liſſabon mache ſie nur wenige Beſuche und auf ihre Be¬ ſitzungen habe ſie noch nie Jemanden eingeladen. Uebrigens ſei ſie muſterhaft religiös und verſäume keinen Morgen die heilige Meſſe; daher beruhe es jedenfalls auf boshafter Verläumdung, wenn hie und da gemunkelt werde, man halte ſie für eine Hexe und ihre Dienerſchaft für ein Häuflein böſer Geiſter. Als Don Correa hiemit genugſam unterrichtet war, verließ er die Herberge, um andern Tages deſto früher bei der Hand zu ſein. Er verwandelte ſich in einen halbſchwarzen mauriſchen Matroſen und belagerte das Schiff des Königs, bis die Herrſchaft aus der Thüre trat und die Maulthiere beſtieg. Im gleichen Aufzuge wie geſtern, ein Maulthier mit der Naſe am Schwanze des andern, ritt die Dame nach der großen Kathedralkirche und Correa folgte. Da er ſah, daß am Portale niemand bei der Hand war, die Maulthiere zu halten, drängte er ſich hinzu und anerbot, den Dienſt zu leiſten, der ihm vom Stallmeiſter auch übertragen wurde. Der junge Kriegs¬ mann war ſeiner Zeit und Geburt gemäß ein guter Katholik; es gefiel ihm daher ſehr gut, daß die Frau von Cercal ihre Dienerſchaft ſo vollzählig mit in die Meſſe nahm und an dem Segen der Religion theilnehmen ließ, und das Gemunkel von einem Zauberweſen erhöhte unter dieſen Umſtänden eher ſeine Theilnahme, als daß es ihn abſchreckte. Keller, Sinngedicht. 18

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/283>, abgerufen am 22.11.2024.