Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Don Correa erblaßte und stand wie vom Blitze ge¬
troffen. Der erste Gedanke sodann war nicht etwa ein
Fluch auf die Entflohene, sondern auf die eigene Thorheit.
"Warum hast du die arme Creatur nicht bei dir be¬
halten", sagte er sich, "und gleich geheirathet wie sie war!
Jetzt wird sie zu Grunde gehen!"

Er fragte die Nonne, ob man denn keine Vermuthung
hege, was sie zur Flucht bewogen und wo sie sich hin¬
gewendet habe? Jene verneinte Alles und meinte, der
Admiral möge, wenn so viel an dem Weibe gelegen sei,
sie jetzt selbst aufsuchen lassen, wozu er mehr Macht und
Mittel besitze, als sie. Erst jetzt ging er in sein altes
Wohnhaus zu Rio, das er zur Hochzeit einzurichten ge¬
dacht hatte. Er fand schon manche Kiste mit angekom¬
menen Sachen vor; aber statt sie zu öffnen, sandte er
nach allen Seiten Leute aus, die Spur der Verschwun¬
denen zu suchen, und machte sich selber auf den Weg, voll
Erbarmen mit ihrer Rathlosigkeit. Auch war die anfäng¬
liche Liebeslaune, die ihn beim ersten Anblick nach so
langem Unterbruche befallen, zeither zu einer inneren
Neigung erwachsen, zu einem tieferen Bedürfnisse, dieser
Menschenseele außerhalb des Weltgeräusches so recht für
sich gut zu sein, und er fragte sich, als er fruchtlos nach
ihr ausschaute, ob er sich mit seinen äußerlichen und
luxuriösen Anstalten und Bestellungen nicht gegen die
Einfachheit des unschuldigen Wesens versündigt und es
zur Strafe dafür nun verloren habe. Er erinnerte sich,

Don Correa erblaßte und ſtand wie vom Blitze ge¬
troffen. Der erſte Gedanke ſodann war nicht etwa ein
Fluch auf die Entflohene, ſondern auf die eigene Thorheit.
„Warum haſt du die arme Creatur nicht bei dir be¬
halten“, ſagte er ſich, „und gleich geheirathet wie ſie war!
Jetzt wird ſie zu Grunde gehen!“

Er fragte die Nonne, ob man denn keine Vermuthung
hege, was ſie zur Flucht bewogen und wo ſie ſich hin¬
gewendet habe? Jene verneinte Alles und meinte, der
Admiral möge, wenn ſo viel an dem Weibe gelegen ſei,
ſie jetzt ſelbſt aufſuchen laſſen, wozu er mehr Macht und
Mittel beſitze, als ſie. Erſt jetzt ging er in ſein altes
Wohnhaus zu Rio, das er zur Hochzeit einzurichten ge¬
dacht hatte. Er fand ſchon manche Kiſte mit angekom¬
menen Sachen vor; aber ſtatt ſie zu öffnen, ſandte er
nach allen Seiten Leute aus, die Spur der Verſchwun¬
denen zu ſuchen, und machte ſich ſelber auf den Weg, voll
Erbarmen mit ihrer Rathloſigkeit. Auch war die anfäng¬
liche Liebeslaune, die ihn beim erſten Anblick nach ſo
langem Unterbruche befallen, zeither zu einer inneren
Neigung erwachſen, zu einem tieferen Bedürfniſſe, dieſer
Menſchenſeele außerhalb des Weltgeräuſches ſo recht für
ſich gut zu ſein, und er fragte ſich, als er fruchtlos nach
ihr ausſchaute, ob er ſich mit ſeinen äußerlichen und
luxuriöſen Anſtalten und Beſtellungen nicht gegen die
Einfachheit des unſchuldigen Weſens verſündigt und es
zur Strafe dafür nun verloren habe. Er erinnerte ſich,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0334" n="324"/>
          <p>Don Correa erblaßte und &#x017F;tand wie vom Blitze ge¬<lb/>
troffen. Der er&#x017F;te Gedanke &#x017F;odann war nicht etwa ein<lb/>
Fluch auf die Entflohene, &#x017F;ondern auf die eigene Thorheit.<lb/>
&#x201E;Warum ha&#x017F;t du die arme Creatur nicht bei dir be¬<lb/>
halten&#x201C;, &#x017F;agte er &#x017F;ich, &#x201E;und gleich geheirathet wie &#x017F;ie war!<lb/>
Jetzt wird &#x017F;ie zu Grunde gehen!&#x201C;</p><lb/>
          <p>Er fragte die Nonne, ob man denn keine Vermuthung<lb/>
hege, was &#x017F;ie zur Flucht bewogen und wo &#x017F;ie &#x017F;ich hin¬<lb/>
gewendet habe? Jene verneinte Alles und meinte, der<lb/>
Admiral möge, wenn &#x017F;o viel an dem Weibe gelegen &#x017F;ei,<lb/>
&#x017F;ie jetzt &#x017F;elb&#x017F;t auf&#x017F;uchen la&#x017F;&#x017F;en, wozu er mehr Macht und<lb/>
Mittel be&#x017F;itze, als &#x017F;ie. Er&#x017F;t jetzt ging er in &#x017F;ein altes<lb/>
Wohnhaus zu Rio, das er zur Hochzeit einzurichten ge¬<lb/>
dacht hatte. Er fand &#x017F;chon manche Ki&#x017F;te mit angekom¬<lb/>
menen Sachen vor; aber &#x017F;tatt &#x017F;ie zu öffnen, &#x017F;andte er<lb/>
nach allen Seiten Leute aus, die Spur der Ver&#x017F;chwun¬<lb/>
denen zu &#x017F;uchen, und machte &#x017F;ich &#x017F;elber auf den Weg, voll<lb/>
Erbarmen mit ihrer Rathlo&#x017F;igkeit. Auch war die anfäng¬<lb/>
liche Liebeslaune, die ihn beim er&#x017F;ten Anblick nach &#x017F;o<lb/>
langem Unterbruche befallen, zeither zu einer inneren<lb/>
Neigung erwach&#x017F;en, zu einem tieferen Bedürfni&#x017F;&#x017F;e, die&#x017F;er<lb/>
Men&#x017F;chen&#x017F;eele außerhalb des Weltgeräu&#x017F;ches &#x017F;o recht für<lb/>
&#x017F;ich gut zu &#x017F;ein, und er fragte &#x017F;ich, als er fruchtlos nach<lb/>
ihr aus&#x017F;chaute, ob er &#x017F;ich mit &#x017F;einen äußerlichen und<lb/>
luxuriö&#x017F;en An&#x017F;talten und Be&#x017F;tellungen nicht gegen die<lb/>
Einfachheit des un&#x017F;chuldigen We&#x017F;ens ver&#x017F;ündigt und es<lb/>
zur Strafe dafür nun verloren habe. Er erinnerte &#x017F;ich,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[324/0334] Don Correa erblaßte und ſtand wie vom Blitze ge¬ troffen. Der erſte Gedanke ſodann war nicht etwa ein Fluch auf die Entflohene, ſondern auf die eigene Thorheit. „Warum haſt du die arme Creatur nicht bei dir be¬ halten“, ſagte er ſich, „und gleich geheirathet wie ſie war! Jetzt wird ſie zu Grunde gehen!“ Er fragte die Nonne, ob man denn keine Vermuthung hege, was ſie zur Flucht bewogen und wo ſie ſich hin¬ gewendet habe? Jene verneinte Alles und meinte, der Admiral möge, wenn ſo viel an dem Weibe gelegen ſei, ſie jetzt ſelbſt aufſuchen laſſen, wozu er mehr Macht und Mittel beſitze, als ſie. Erſt jetzt ging er in ſein altes Wohnhaus zu Rio, das er zur Hochzeit einzurichten ge¬ dacht hatte. Er fand ſchon manche Kiſte mit angekom¬ menen Sachen vor; aber ſtatt ſie zu öffnen, ſandte er nach allen Seiten Leute aus, die Spur der Verſchwun¬ denen zu ſuchen, und machte ſich ſelber auf den Weg, voll Erbarmen mit ihrer Rathloſigkeit. Auch war die anfäng¬ liche Liebeslaune, die ihn beim erſten Anblick nach ſo langem Unterbruche befallen, zeither zu einer inneren Neigung erwachſen, zu einem tieferen Bedürfniſſe, dieſer Menſchenſeele außerhalb des Weltgeräuſches ſo recht für ſich gut zu ſein, und er fragte ſich, als er fruchtlos nach ihr ausſchaute, ob er ſich mit ſeinen äußerlichen und luxuriöſen Anſtalten und Beſtellungen nicht gegen die Einfachheit des unſchuldigen Weſens verſündigt und es zur Strafe dafür nun verloren habe. Er erinnerte ſich,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/334
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/334>, abgerufen am 22.11.2024.