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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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was Don Correa leicht begriff, als er die schuldlose
Anmuth und ernsten Züge mit neuem Wohlgefallen be¬
trachtete. Sie erreichte endlich die Umgebung der
portugiesischen Hauptstadt mit Sonnenuntergang; bis sie
nicht mehr zweifeln konnte, daß sie in Lissabon sei, war
aber die Nacht schon vorgerückt, und sie fragte nach der
Wohnung des Admirals, zu dessen Haushalt sie gehöre,
wie sie mit gutem Instinkte aussagte. Eine Scharwache
übergab sie der andern, ohne sie zu beleidigen, obgleich
den Leuten das Abenteuer ungewöhnlich vorkam. So
wurde sie von einem Stadtviertel in's andere mitgeführt
und zuletzt einem alten Nachtwächter überlassen, der sie
vollends vor den Palast des Admirals brachte, nachdem
er aus ihren Worten auf die Wahrheit ihrer Aussage
geschlossen hatte. Da solle sie an der Glocke ziehen, rieth
er, indem er ihr den eisernen Griff zeigte und sie dann
stehen ließ.

Diese Erzählung trug sie allerdings nicht fließend vor;
sie mußte ihr vielmehr stückweise abgefragt werden; dennoch
war Don Correa erfreut, die Zambo zum ersten Male
in seiner eigenen Sprache zusammenhängend reden zu
hören und überdies nicht nur in ihren Worten, sondern
auch in den von der Sprache belebten Zügen des dunkeln
Antlitzes das Licht eines guten Verstandes wahrzunehmen,
gleich dem Morgenschimmer, der einen schönen Tag ver¬
spricht. Freilich waren diese Züge bewegter als sonst,
weil auch sie die erlernte Sprache ihres Beschützers zum

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was Don Correa leicht begriff, als er die ſchuldloſe
Anmuth und ernſten Züge mit neuem Wohlgefallen be¬
trachtete. Sie erreichte endlich die Umgebung der
portugieſiſchen Hauptſtadt mit Sonnenuntergang; bis ſie
nicht mehr zweifeln konnte, daß ſie in Liſſabon ſei, war
aber die Nacht ſchon vorgerückt, und ſie fragte nach der
Wohnung des Admirals, zu deſſen Haushalt ſie gehöre,
wie ſie mit gutem Inſtinkte ausſagte. Eine Scharwache
übergab ſie der andern, ohne ſie zu beleidigen, obgleich
den Leuten das Abenteuer ungewöhnlich vorkam. So
wurde ſie von einem Stadtviertel in's andere mitgeführt
und zuletzt einem alten Nachtwächter überlaſſen, der ſie
vollends vor den Palaſt des Admirals brachte, nachdem
er aus ihren Worten auf die Wahrheit ihrer Ausſage
geſchloſſen hatte. Da ſolle ſie an der Glocke ziehen, rieth
er, indem er ihr den eiſernen Griff zeigte und ſie dann
ſtehen ließ.

Dieſe Erzählung trug ſie allerdings nicht fließend vor;
ſie mußte ihr vielmehr ſtückweiſe abgefragt werden; dennoch
war Don Correa erfreut, die Zambo zum erſten Male
in ſeiner eigenen Sprache zuſammenhängend reden zu
hören und überdies nicht nur in ihren Worten, ſondern
auch in den von der Sprache belebten Zügen des dunkeln
Antlitzes das Licht eines guten Verſtandes wahrzunehmen,
gleich dem Morgenſchimmer, der einen ſchönen Tag ver¬
ſpricht. Freilich waren dieſe Züge bewegter als ſonſt,
weil auch ſie die erlernte Sprache ihres Beſchützers zum

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[339/0349] was Don Correa leicht begriff, als er die ſchuldloſe Anmuth und ernſten Züge mit neuem Wohlgefallen be¬ trachtete. Sie erreichte endlich die Umgebung der portugieſiſchen Hauptſtadt mit Sonnenuntergang; bis ſie nicht mehr zweifeln konnte, daß ſie in Liſſabon ſei, war aber die Nacht ſchon vorgerückt, und ſie fragte nach der Wohnung des Admirals, zu deſſen Haushalt ſie gehöre, wie ſie mit gutem Inſtinkte ausſagte. Eine Scharwache übergab ſie der andern, ohne ſie zu beleidigen, obgleich den Leuten das Abenteuer ungewöhnlich vorkam. So wurde ſie von einem Stadtviertel in's andere mitgeführt und zuletzt einem alten Nachtwächter überlaſſen, der ſie vollends vor den Palaſt des Admirals brachte, nachdem er aus ihren Worten auf die Wahrheit ihrer Ausſage geſchloſſen hatte. Da ſolle ſie an der Glocke ziehen, rieth er, indem er ihr den eiſernen Griff zeigte und ſie dann ſtehen ließ. Dieſe Erzählung trug ſie allerdings nicht fließend vor; ſie mußte ihr vielmehr ſtückweiſe abgefragt werden; dennoch war Don Correa erfreut, die Zambo zum erſten Male in ſeiner eigenen Sprache zuſammenhängend reden zu hören und überdies nicht nur in ihren Worten, ſondern auch in den von der Sprache belebten Zügen des dunkeln Antlitzes das Licht eines guten Verſtandes wahrzunehmen, gleich dem Morgenſchimmer, der einen ſchönen Tag ver¬ ſpricht. Freilich waren dieſe Züge bewegter als ſonſt, weil auch ſie die erlernte Sprache ihres Beſchützers zum 22*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/349>, abgerufen am 22.11.2024.