bereits so lange Briefe, wie er ihr, der Mutter Else, kaum in der ersten Zeit geschrieben habe. Aber sie möge es ihr wohl gönnen und freue sich schon darauf, die Briefe ihres Mannes zu lesen, wenn sie einmal dort sei.
Im September kam ein Briefchen von Lucie; sie schrieb: "Ihre Eltern sind beide hier bei uns; wollen Sie nicht auch kommen? Es wäre doch nicht schön, wenn wir die liebe Herrschaft nicht mit der Anwesenheit des Sohnes regaliren könnten und so gottesjämmerlich da¬ ständen, nachdem wir mit seiner Freundschaft geprahlt haben! Aber lassen Sie das Nilpferd zu Hause und bringen Sie einen Koffer mit! Der Onkel Marschall will mit Ihnen smoliren, was mir leider als einem Frauen¬ zimmer versagt bleibt!"
Obgleich Reinhart, der so ausführliche Weiber- und Liebesgeschichten aus dem Stegreife erzählt hatte, die letzteren Worte schon als vorläufige Andeutung eines Ab¬ schlages anzusehen geneigt war, sofern er etwa einen solchen herausfordern würde, packte er doch einen Koffer mit allen wünschbaren und kleidsamen Sachen, die in seinem Besitze waren, und fuhr hin. Er fand Alles in schönster Laune unter, den Platanen vereinigt; die Else Moorland trug ohne Schaden an ihrer Matronenwürde ein schneeweißes Kleid gleich der Lucie, da eine warme Sommersonne schien, und ihr schwarzes Haar ohne Haube entrollt. Der Oberst hatte die Krücke im Hause gelassen und trug Sporen an den Stiefeln. Der alte Reinhart
bereits ſo lange Briefe, wie er ihr, der Mutter Elſe, kaum in der erſten Zeit geſchrieben habe. Aber ſie möge es ihr wohl gönnen und freue ſich ſchon darauf, die Briefe ihres Mannes zu leſen, wenn ſie einmal dort ſei.
Im September kam ein Briefchen von Lucie; ſie ſchrieb: „Ihre Eltern ſind beide hier bei uns; wollen Sie nicht auch kommen? Es wäre doch nicht ſchön, wenn wir die liebe Herrſchaft nicht mit der Anweſenheit des Sohnes regaliren könnten und ſo gottesjämmerlich da¬ ſtänden, nachdem wir mit ſeiner Freundſchaft geprahlt haben! Aber laſſen Sie das Nilpferd zu Hauſe und bringen Sie einen Koffer mit! Der Onkel Marſchall will mit Ihnen ſmoliren, was mir leider als einem Frauen¬ zimmer verſagt bleibt!“
Obgleich Reinhart, der ſo ausführliche Weiber- und Liebesgeſchichten aus dem Stegreife erzählt hatte, die letzteren Worte ſchon als vorläufige Andeutung eines Ab¬ ſchlages anzuſehen geneigt war, ſofern er etwa einen ſolchen herausfordern würde, packte er doch einen Koffer mit allen wünſchbaren und kleidſamen Sachen, die in ſeinem Beſitze waren, und fuhr hin. Er fand Alles in ſchönſter Laune unter, den Platanen vereinigt; die Elſe Moorland trug ohne Schaden an ihrer Matronenwürde ein ſchneeweißes Kleid gleich der Lucie, da eine warme Sommerſonne ſchien, und ihr ſchwarzes Haar ohne Haube entrollt. Der Oberſt hatte die Krücke im Hauſe gelaſſen und trug Sporen an den Stiefeln. Der alte Reinhart
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bereits ſo lange Briefe, wie er ihr, der Mutter Elſe,
kaum in der erſten Zeit geſchrieben habe. Aber ſie möge
es ihr wohl gönnen und freue ſich ſchon darauf, die
Briefe ihres Mannes zu leſen, wenn ſie einmal dort ſei.
Im September kam ein Briefchen von Lucie; ſie
ſchrieb: „Ihre Eltern ſind beide hier bei uns; wollen
Sie nicht auch kommen? Es wäre doch nicht ſchön, wenn
wir die liebe Herrſchaft nicht mit der Anweſenheit des
Sohnes regaliren könnten und ſo gottesjämmerlich da¬
ſtänden, nachdem wir mit ſeiner Freundſchaft geprahlt
haben! Aber laſſen Sie das Nilpferd zu Hauſe und
bringen Sie einen Koffer mit! Der Onkel Marſchall will
mit Ihnen ſmoliren, was mir leider als einem Frauen¬
zimmer verſagt bleibt!“
Obgleich Reinhart, der ſo ausführliche Weiber- und
Liebesgeſchichten aus dem Stegreife erzählt hatte, die
letzteren Worte ſchon als vorläufige Andeutung eines Ab¬
ſchlages anzuſehen geneigt war, ſofern er etwa einen
ſolchen herausfordern würde, packte er doch einen Koffer
mit allen wünſchbaren und kleidſamen Sachen, die in
ſeinem Beſitze waren, und fuhr hin. Er fand Alles in
ſchönſter Laune unter, den Platanen vereinigt; die Elſe
Moorland trug ohne Schaden an ihrer Matronenwürde
ein ſchneeweißes Kleid gleich der Lucie, da eine warme
Sommerſonne ſchien, und ihr ſchwarzes Haar ohne Haube
entrollt. Der Oberſt hatte die Krücke im Hauſe gelaſſen
und trug Sporen an den Stiefeln. Der alte Reinhart
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/382>, abgerufen am 25.11.2024.
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