Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Buchengänge führend. Allein immer deutlicher zeigten
sich die Anlagen und verriethen eine feine kundige Hand;
da er aber durchaus nicht wußte, wo er war und
nirgends einen Ueberblick gewinnen konnte, mußte er nun
auch befürchten, als ein Eindringling und Parkverwüster
zum Vorschein zu kommen. Das Pferd zerriß unbarm¬
herzig mit seinen Hufen den fein geharkten Boden, zertrat
Gras und wohlgepflegte Waldblumen und zerstörte die
Rasenstufen, die über kleine Hügel führten. Indem er
sich sehnte, der traumhaften Verwirrung zu entrinnen,
fürchtete er zugleich das Ende und verwünschte die Stunde,
die ihn in solche Noth gebracht.

Plötzlich lichteten sich die Bäume und Laubwände, ein
schmaler Pfad führte unmittelbar in einen offenen Blumen¬
garten, welcher von dem jenseitigen Hofraume nur durch
ein dünnes vergoldetes Drahtgitter abgeschlossen war.
Gern hätte er sich über Garten und Zaun mit einem
Satze hinweggeholfen; da dies aber nicht möglich war,
so ritt er mit dem Muthe der Verzweiflung und trotzig,
ohne abzusteigen, zwischen den Zierbeeten durch, die
Schneckenlinien verfolgend, deren weißen Sand der Gaul
lustig stäuben ließ.

Endlich war er hinter dem leichten Gitterchen angelangt,
das den Garten verschloß, und das Pferd anhaltend über¬
sah er sich zuerst den Platz, gleichgültig, ob er in dieser
barbarischen Lage entdeckt wurde oder nicht; denn sich zu
verbergen schien unmöglich.

Buchengänge führend. Allein immer deutlicher zeigten
ſich die Anlagen und verriethen eine feine kundige Hand;
da er aber durchaus nicht wußte, wo er war und
nirgends einen Ueberblick gewinnen konnte, mußte er nun
auch befürchten, als ein Eindringling und Parkverwüſter
zum Vorſchein zu kommen. Das Pferd zerriß unbarm¬
herzig mit ſeinen Hufen den fein geharkten Boden, zertrat
Gras und wohlgepflegte Waldblumen und zerſtörte die
Raſenſtufen, die über kleine Hügel führten. Indem er
ſich ſehnte, der traumhaften Verwirrung zu entrinnen,
fürchtete er zugleich das Ende und verwünſchte die Stunde,
die ihn in ſolche Noth gebracht.

Plötzlich lichteten ſich die Bäume und Laubwände, ein
ſchmaler Pfad führte unmittelbar in einen offenen Blumen¬
garten, welcher von dem jenſeitigen Hofraume nur durch
ein dünnes vergoldetes Drahtgitter abgeſchloſſen war.
Gern hätte er ſich über Garten und Zaun mit einem
Satze hinweggeholfen; da dies aber nicht möglich war,
ſo ritt er mit dem Muthe der Verzweiflung und trotzig,
ohne abzuſteigen, zwiſchen den Zierbeeten durch, die
Schneckenlinien verfolgend, deren weißen Sand der Gaul
luſtig ſtäuben ließ.

Endlich war er hinter dem leichten Gitterchen angelangt,
das den Garten verſchloß, und das Pferd anhaltend über¬
ſah er ſich zuerſt den Platz, gleichgültig, ob er in dieſer
barbariſchen Lage entdeckt wurde oder nicht; denn ſich zu
verbergen ſchien unmöglich.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0039" n="29"/>
Buchengänge führend. Allein immer deutlicher zeigten<lb/>
&#x017F;ich die Anlagen und verriethen eine feine kundige Hand;<lb/>
da er aber durchaus nicht wußte, wo er war und<lb/>
nirgends einen Ueberblick gewinnen konnte, mußte er nun<lb/>
auch befürchten, als ein Eindringling und Parkverwü&#x017F;ter<lb/>
zum Vor&#x017F;chein zu kommen. Das Pferd zerriß unbarm¬<lb/>
herzig mit &#x017F;einen Hufen den fein geharkten Boden, zertrat<lb/>
Gras und wohlgepflegte Waldblumen und zer&#x017F;törte die<lb/>
Ra&#x017F;en&#x017F;tufen, die über kleine Hügel führten. Indem er<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ehnte, der traumhaften Verwirrung zu entrinnen,<lb/>
fürchtete er zugleich das Ende und verwün&#x017F;chte die Stunde,<lb/>
die ihn in &#x017F;olche Noth gebracht.</p><lb/>
          <p>Plötzlich lichteten &#x017F;ich die Bäume und Laubwände, ein<lb/>
&#x017F;chmaler Pfad führte unmittelbar in einen offenen Blumen¬<lb/>
garten, welcher von dem jen&#x017F;eitigen Hofraume nur durch<lb/>
ein dünnes vergoldetes Drahtgitter abge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en war.<lb/>
Gern hätte er &#x017F;ich über Garten und Zaun mit einem<lb/>
Satze hinweggeholfen; da dies aber nicht möglich war,<lb/>
&#x017F;o ritt er mit dem Muthe der Verzweiflung und trotzig,<lb/>
ohne abzu&#x017F;teigen, zwi&#x017F;chen den Zierbeeten durch, die<lb/>
Schneckenlinien verfolgend, deren weißen Sand der Gaul<lb/>
lu&#x017F;tig &#x017F;täuben ließ.</p><lb/>
          <p>Endlich war er hinter dem leichten Gitterchen angelangt,<lb/>
das den Garten ver&#x017F;chloß, und das Pferd anhaltend über¬<lb/>
&#x017F;ah er &#x017F;ich zuer&#x017F;t den Platz, gleichgültig, ob er in die&#x017F;er<lb/>
barbari&#x017F;chen Lage entdeckt wurde oder nicht; denn &#x017F;ich zu<lb/>
verbergen &#x017F;chien unmöglich.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[29/0039] Buchengänge führend. Allein immer deutlicher zeigten ſich die Anlagen und verriethen eine feine kundige Hand; da er aber durchaus nicht wußte, wo er war und nirgends einen Ueberblick gewinnen konnte, mußte er nun auch befürchten, als ein Eindringling und Parkverwüſter zum Vorſchein zu kommen. Das Pferd zerriß unbarm¬ herzig mit ſeinen Hufen den fein geharkten Boden, zertrat Gras und wohlgepflegte Waldblumen und zerſtörte die Raſenſtufen, die über kleine Hügel führten. Indem er ſich ſehnte, der traumhaften Verwirrung zu entrinnen, fürchtete er zugleich das Ende und verwünſchte die Stunde, die ihn in ſolche Noth gebracht. Plötzlich lichteten ſich die Bäume und Laubwände, ein ſchmaler Pfad führte unmittelbar in einen offenen Blumen¬ garten, welcher von dem jenſeitigen Hofraume nur durch ein dünnes vergoldetes Drahtgitter abgeſchloſſen war. Gern hätte er ſich über Garten und Zaun mit einem Satze hinweggeholfen; da dies aber nicht möglich war, ſo ritt er mit dem Muthe der Verzweiflung und trotzig, ohne abzuſteigen, zwiſchen den Zierbeeten durch, die Schneckenlinien verfolgend, deren weißen Sand der Gaul luſtig ſtäuben ließ. Endlich war er hinter dem leichten Gitterchen angelangt, das den Garten verſchloß, und das Pferd anhaltend über¬ ſah er ſich zuerſt den Platz, gleichgültig, ob er in dieſer barbariſchen Lage entdeckt wurde oder nicht; denn ſich zu verbergen ſchien unmöglich.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/39
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/39>, abgerufen am 28.04.2024.