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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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der Mitschuld an dem wissenschaftlichen Raubverfahren,
wie er es nannte, anklagte. Uebrigens hieß sie Fräulein
Hansa. Sie bewunderte und liebte nämlich den Namen
Hans über alles, und um seiner theilhaftig zu werden,
hatte sie ihn ohne Rücksicht auf Sinn oder Unsinn mit
einem a verziert und angenommen.

Unter solchen Umständen, solchen Vorgesetzten that
ich was ich wollte, d. h. niemand sah auf mich. Als ich
aber von Leodegar's Ankunft hörte, war es, wie wenn
ich zu dieser Unabhängigkeit hinzu auf einen Ruck noch ein
par Jahre älter würde. Ich erwartete ihn mit zitterndem
Herzen und trat ihm dennoch mit der Haltung einer
zwanzigjährigen Person verschämt und feierlich entgegen.

Alle Welt! rief er überrascht aus, als er meiner an¬
sichtig wurde; da darf ich ja nicht mehr von meiner
kleinen Frau reden, das gibt bald eine große!

Ich aber erblickte ihn jetzt fast mit Entsetzen; denn
seine regelmäßigen aber starken Züge, die schwarzen, in
die Stirne fallenden Locken, die großen Augen, die mit
kalten Flammen leuchteten, alles sah ich später lange
noch einem gemalten Bilde gleich vor mir; damals aber
erschreckte und blendete mich dies zu seinem vollen Aus¬
druck gelangte Wesen, und der Schrecken diente nur dazu,
meine Kinderei auf den Gipfel zu treiben. Ich nahm
mich jedoch zusammen; nach einer kurzen Unterhaltung
lud ich meinen Seelenfreund auf einen bestimmten Tag
gelassen zu Tisch, als ob es nur so sein müßte. Die

Keller, Sinngedicht. 25

der Mitſchuld an dem wiſſenſchaftlichen Raubverfahren,
wie er es nannte, anklagte. Uebrigens hieß ſie Fräulein
Hanſa. Sie bewunderte und liebte nämlich den Namen
Hans über alles, und um ſeiner theilhaftig zu werden,
hatte ſie ihn ohne Rückſicht auf Sinn oder Unſinn mit
einem a verziert und angenommen.

Unter ſolchen Umſtänden, ſolchen Vorgeſetzten that
ich was ich wollte, d. h. niemand ſah auf mich. Als ich
aber von Leodegar's Ankunft hörte, war es, wie wenn
ich zu dieſer Unabhängigkeit hinzu auf einen Ruck noch ein
par Jahre älter würde. Ich erwartete ihn mit zitterndem
Herzen und trat ihm dennoch mit der Haltung einer
zwanzigjährigen Perſon verſchämt und feierlich entgegen.

Alle Welt! rief er überraſcht aus, als er meiner an¬
ſichtig wurde; da darf ich ja nicht mehr von meiner
kleinen Frau reden, das gibt bald eine große!

Ich aber erblickte ihn jetzt faſt mit Entſetzen; denn
ſeine regelmäßigen aber ſtarken Züge, die ſchwarzen, in
die Stirne fallenden Locken, die großen Augen, die mit
kalten Flammen leuchteten, alles ſah ich ſpäter lange
noch einem gemalten Bilde gleich vor mir; damals aber
erſchreckte und blendete mich dies zu ſeinem vollen Aus¬
druck gelangte Weſen, und der Schrecken diente nur dazu,
meine Kinderei auf den Gipfel zu treiben. Ich nahm
mich jedoch zuſammen; nach einer kurzen Unterhaltung
lud ich meinen Seelenfreund auf einen beſtimmten Tag
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Keller, Sinngedicht. 25
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[385/0395] der Mitſchuld an dem wiſſenſchaftlichen Raubverfahren, wie er es nannte, anklagte. Uebrigens hieß ſie Fräulein Hanſa. Sie bewunderte und liebte nämlich den Namen Hans über alles, und um ſeiner theilhaftig zu werden, hatte ſie ihn ohne Rückſicht auf Sinn oder Unſinn mit einem a verziert und angenommen. Unter ſolchen Umſtänden, ſolchen Vorgeſetzten that ich was ich wollte, d. h. niemand ſah auf mich. Als ich aber von Leodegar's Ankunft hörte, war es, wie wenn ich zu dieſer Unabhängigkeit hinzu auf einen Ruck noch ein par Jahre älter würde. Ich erwartete ihn mit zitterndem Herzen und trat ihm dennoch mit der Haltung einer zwanzigjährigen Perſon verſchämt und feierlich entgegen. Alle Welt! rief er überraſcht aus, als er meiner an¬ ſichtig wurde; da darf ich ja nicht mehr von meiner kleinen Frau reden, das gibt bald eine große! Ich aber erblickte ihn jetzt faſt mit Entſetzen; denn ſeine regelmäßigen aber ſtarken Züge, die ſchwarzen, in die Stirne fallenden Locken, die großen Augen, die mit kalten Flammen leuchteten, alles ſah ich ſpäter lange noch einem gemalten Bilde gleich vor mir; damals aber erſchreckte und blendete mich dies zu ſeinem vollen Aus¬ druck gelangte Weſen, und der Schrecken diente nur dazu, meine Kinderei auf den Gipfel zu treiben. Ich nahm mich jedoch zuſammen; nach einer kurzen Unterhaltung lud ich meinen Seelenfreund auf einen beſtimmten Tag gelaſſen zu Tiſch, als ob es nur ſo ſein müßte. Die Keller, Sinngedicht. 25

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/395>, abgerufen am 22.11.2024.