Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

besonders kraftvoll und ließ dann im höchsten Gefühle
die geschleiften Noten steigen:

Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein schwaches Rosenband.

Da ein par Kanarienvögel mit ihrem schmetternden
Gesange immer lauter drein lärmten, war eine Art von
Tumult in der Stube, von welchem hingerissen, Lucie
und Reinhart sich küßten. Lucie hatte die Augen voll
Wasser und doch lachte sie, indem sie purpurroth wurde
von einem lange entbehrten und verschmähten Gefühle,
und Reinhart sah deutlich, wie die schöne Gluth sich in
dem weißen Gesichte verbreitete.

Es war ihnen unmöglich, jetzt in das Häuschen hinein¬
zugehen; ungesehen, wie sie gekommen, begaben sie sich
hinweg, und erst als sie wieder die Waldwege betreten
hatten, stand Lucie still und rief:

"Bei Gott, jetzt haben wir doch Ihr schlimmes Recept
von dem alten Logau ausgeführt! Denn daß es mich
gelächert hat, weiß ich, und roth werde ich hoffentlich
auch geworden sein. Ich fühle jetzt noch ein heißes
Gesicht!"

"Freilich bist Du roth geworden, theure Lux," sagte
Reinhart, "wie eine Morgenröthe im Sommer! Aber auch
ich habe wahrhaftig nicht an das Epigramm gedacht, und
nun ist es doch gelungen! Willst Du mir Deine Hand
geben?"

beſonders kraftvoll und ließ dann im höchſten Gefühle
die geſchleiften Noten ſteigen:

Und das Band, das uns verbindet,
Sei kein ſchwaches Roſenband.

Da ein par Kanarienvögel mit ihrem ſchmetternden
Geſange immer lauter drein lärmten, war eine Art von
Tumult in der Stube, von welchem hingeriſſen, Lucie
und Reinhart ſich küßten. Lucie hatte die Augen voll
Waſſer und doch lachte ſie, indem ſie purpurroth wurde
von einem lange entbehrten und verſchmähten Gefühle,
und Reinhart ſah deutlich, wie die ſchöne Gluth ſich in
dem weißen Geſichte verbreitete.

Es war ihnen unmöglich, jetzt in das Häuschen hinein¬
zugehen; ungeſehen, wie ſie gekommen, begaben ſie ſich
hinweg, und erſt als ſie wieder die Waldwege betreten
hatten, ſtand Lucie ſtill und rief:

„Bei Gott, jetzt haben wir doch Ihr ſchlimmes Recept
von dem alten Logau ausgeführt! Denn daß es mich
gelächert hat, weiß ich, und roth werde ich hoffentlich
auch geworden ſein. Ich fühle jetzt noch ein heißes
Geſicht!“

„Freilich biſt Du roth geworden, theure Lux,“ ſagte
Reinhart, „wie eine Morgenröthe im Sommer! Aber auch
ich habe wahrhaftig nicht an das Epigramm gedacht, und
nun iſt es doch gelungen! Willſt Du mir Deine Hand
geben?“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0423" n="413"/>
          <p xml:id="p-0423a" prev="p-0422d">be&#x017F;onders kraftvoll und ließ dann im höch&#x017F;ten Gefühle<lb/>
die ge&#x017F;chleiften Noten &#x017F;teigen:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l rendition="#et">Und das Band, das uns verbindet,</l><lb/>
            <l rendition="#et">Sei kein &#x017F;chwaches Ro&#x017F;enband.</l><lb/>
          </lg>
          <p>Da ein par Kanarienvögel mit ihrem &#x017F;chmetternden<lb/>
Ge&#x017F;ange immer lauter drein lärmten, war eine Art von<lb/>
Tumult in der Stube, von welchem hingeri&#x017F;&#x017F;en, Lucie<lb/>
und Reinhart &#x017F;ich küßten. Lucie hatte die Augen voll<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er und doch lachte &#x017F;ie, indem &#x017F;ie purpurroth wurde<lb/>
von einem lange entbehrten und ver&#x017F;chmähten Gefühle,<lb/>
und Reinhart &#x017F;ah deutlich, wie die &#x017F;chöne Gluth &#x017F;ich in<lb/>
dem weißen Ge&#x017F;ichte verbreitete.</p><lb/>
          <p>Es war ihnen unmöglich, jetzt in das Häuschen hinein¬<lb/>
zugehen; unge&#x017F;ehen, wie &#x017F;ie gekommen, begaben &#x017F;ie &#x017F;ich<lb/>
hinweg, und er&#x017F;t als &#x017F;ie wieder die Waldwege betreten<lb/>
hatten, &#x017F;tand Lucie &#x017F;till und rief:</p><lb/>
          <p>&#x201E;Bei Gott, jetzt haben wir doch Ihr &#x017F;chlimmes Recept<lb/>
von dem alten Logau ausgeführt! Denn daß es mich<lb/>
gelächert hat, weiß ich, und roth werde ich hoffentlich<lb/>
auch geworden &#x017F;ein. Ich fühle jetzt noch ein heißes<lb/>
Ge&#x017F;icht!&#x201C;</p><lb/>
          <p>&#x201E;Freilich bi&#x017F;t Du roth geworden, theure Lux,&#x201C; &#x017F;agte<lb/>
Reinhart, &#x201E;wie eine Morgenröthe im Sommer! Aber auch<lb/>
ich habe wahrhaftig nicht an das Epigramm gedacht, und<lb/>
nun i&#x017F;t es doch gelungen! Will&#x017F;t Du mir Deine Hand<lb/>
geben?&#x201C;<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[413/0423] beſonders kraftvoll und ließ dann im höchſten Gefühle die geſchleiften Noten ſteigen: Und das Band, das uns verbindet, Sei kein ſchwaches Roſenband. Da ein par Kanarienvögel mit ihrem ſchmetternden Geſange immer lauter drein lärmten, war eine Art von Tumult in der Stube, von welchem hingeriſſen, Lucie und Reinhart ſich küßten. Lucie hatte die Augen voll Waſſer und doch lachte ſie, indem ſie purpurroth wurde von einem lange entbehrten und verſchmähten Gefühle, und Reinhart ſah deutlich, wie die ſchöne Gluth ſich in dem weißen Geſichte verbreitete. Es war ihnen unmöglich, jetzt in das Häuschen hinein¬ zugehen; ungeſehen, wie ſie gekommen, begaben ſie ſich hinweg, und erſt als ſie wieder die Waldwege betreten hatten, ſtand Lucie ſtill und rief: „Bei Gott, jetzt haben wir doch Ihr ſchlimmes Recept von dem alten Logau ausgeführt! Denn daß es mich gelächert hat, weiß ich, und roth werde ich hoffentlich auch geworden ſein. Ich fühle jetzt noch ein heißes Geſicht!“ „Freilich biſt Du roth geworden, theure Lux,“ ſagte Reinhart, „wie eine Morgenröthe im Sommer! Aber auch ich habe wahrhaftig nicht an das Epigramm gedacht, und nun iſt es doch gelungen! Willſt Du mir Deine Hand geben?“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/423
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/423>, abgerufen am 16.05.2024.