mit einer breiten Schale voll Rosen, im Auftrage der Herrschaft die Herberge etwas freundlicher zu machen, und das andere folgte auf dem Fuße mit einer schönen Krystallflasche, die mit einem dunkeln südlichen Wein halb gefüllt war, einem Glase und einigen Zwiebäcken, alles auf einem Brette von altmodig geformtem Zinn tragend.
Ueberrascht von dem Anblick der Gruppe, sowie auch etwas übermüthig von den fortgesetzt anmuthigen Begeg¬ nissen dieses Tages, verhinderte er die Mädchen, ihre Gaben auf den Tisch zu setzen, und führte sie mit wich¬ tiger Miene vor einen großen Spiegel, der den Fenster¬ pfeiler vom Boden bis zur Decke bekleidete. Dort stellte er sie, den Rücken gegen das Glas gewendet, auf, und die Jungfrauen ließen ihn einige Augenblicke gewähren, da sie nicht wußten, worum es sich handelte. Mit Wohl¬ gefallen betrachtete er das Bild; denn er sah nun vier Figuren, statt zweier, indem der Spiegel den Nacken und die Rückseite der schmucken Trägerinnen wiedergab. Um sie festzuhalten, fragte er sie nach dem Taufnamen ihrer Gebieterin, obschon der denselben bereits kannte, und beide sagten: "Sie heißt Lucia!" Zugleich aber ver¬ spürten die Mägde den Muthwillen, stellten die Sachen auf den Tisch und liefen erröthend aus dem Zimmer; draußen ließen sie ein kurzes schnippisches Gelächter erschallen, das gar lustig durch die gewölbten Gänge erklang. Bald aber guckten ihre zwei Gesichter wieder zu einer andern Thüre des Zimmers herein, und die Eine
mit einer breiten Schale voll Roſen, im Auftrage der Herrſchaft die Herberge etwas freundlicher zu machen, und das andere folgte auf dem Fuße mit einer ſchönen Kryſtallflaſche, die mit einem dunkeln ſüdlichen Wein halb gefüllt war, einem Glaſe und einigen Zwiebäcken, alles auf einem Brette von altmodig geformtem Zinn tragend.
Ueberraſcht von dem Anblick der Gruppe, ſowie auch etwas übermüthig von den fortgeſetzt anmuthigen Begeg¬ niſſen dieſes Tages, verhinderte er die Mädchen, ihre Gaben auf den Tiſch zu ſetzen, und führte ſie mit wich¬ tiger Miene vor einen großen Spiegel, der den Fenſter¬ pfeiler vom Boden bis zur Decke bekleidete. Dort ſtellte er ſie, den Rücken gegen das Glas gewendet, auf, und die Jungfrauen ließen ihn einige Augenblicke gewähren, da ſie nicht wußten, worum es ſich handelte. Mit Wohl¬ gefallen betrachtete er das Bild; denn er ſah nun vier Figuren, ſtatt zweier, indem der Spiegel den Nacken und die Rückſeite der ſchmucken Trägerinnen wiedergab. Um ſie feſtzuhalten, fragte er ſie nach dem Taufnamen ihrer Gebieterin, obſchon der denſelben bereits kannte, und beide ſagten: „Sie heißt Lucia!“ Zugleich aber ver¬ ſpürten die Mägde den Muthwillen, ſtellten die Sachen auf den Tiſch und liefen erröthend aus dem Zimmer; draußen ließen ſie ein kurzes ſchnippiſches Gelächter erſchallen, das gar luſtig durch die gewölbten Gänge erklang. Bald aber guckten ihre zwei Geſichter wieder zu einer andern Thüre des Zimmers herein, und die Eine
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0047"n="37"/>
mit einer breiten Schale voll Roſen, im Auftrage der<lb/>
Herrſchaft die Herberge etwas freundlicher zu machen,<lb/>
und das andere folgte auf dem Fuße mit einer ſchönen<lb/>
Kryſtallflaſche, die mit einem dunkeln ſüdlichen Wein halb<lb/>
gefüllt war, einem Glaſe und einigen Zwiebäcken, alles<lb/>
auf einem Brette von altmodig geformtem Zinn tragend.<lb/></p><p>Ueberraſcht von dem Anblick der Gruppe, ſowie auch<lb/>
etwas übermüthig von den fortgeſetzt anmuthigen Begeg¬<lb/>
niſſen dieſes Tages, verhinderte er die Mädchen, ihre<lb/>
Gaben auf den Tiſch zu ſetzen, und führte ſie mit wich¬<lb/>
tiger Miene vor einen großen Spiegel, der den Fenſter¬<lb/>
pfeiler vom Boden bis zur Decke bekleidete. Dort ſtellte<lb/>
er ſie, den Rücken gegen das Glas gewendet, auf, und<lb/>
die Jungfrauen ließen ihn einige Augenblicke gewähren,<lb/>
da ſie nicht wußten, worum es ſich handelte. Mit Wohl¬<lb/>
gefallen betrachtete er das Bild; denn er ſah nun vier<lb/>
Figuren, ſtatt zweier, indem der Spiegel den Nacken und<lb/>
die Rückſeite der ſchmucken Trägerinnen wiedergab. Um<lb/>ſie feſtzuhalten, fragte er ſie nach dem Taufnamen ihrer<lb/>
Gebieterin, obſchon der denſelben bereits kannte, und<lb/>
beide ſagten: „Sie heißt Lucia!“ Zugleich aber ver¬<lb/>ſpürten die Mägde den Muthwillen, ſtellten die Sachen<lb/>
auf den Tiſch und liefen erröthend aus dem Zimmer;<lb/>
draußen ließen ſie ein kurzes ſchnippiſches Gelächter<lb/>
erſchallen, das gar luſtig durch die gewölbten Gänge<lb/>
erklang. Bald aber guckten ihre zwei Geſichter wieder<lb/>
zu einer andern Thüre des Zimmers herein, und die Eine<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[37/0047]
mit einer breiten Schale voll Roſen, im Auftrage der
Herrſchaft die Herberge etwas freundlicher zu machen,
und das andere folgte auf dem Fuße mit einer ſchönen
Kryſtallflaſche, die mit einem dunkeln ſüdlichen Wein halb
gefüllt war, einem Glaſe und einigen Zwiebäcken, alles
auf einem Brette von altmodig geformtem Zinn tragend.
Ueberraſcht von dem Anblick der Gruppe, ſowie auch
etwas übermüthig von den fortgeſetzt anmuthigen Begeg¬
niſſen dieſes Tages, verhinderte er die Mädchen, ihre
Gaben auf den Tiſch zu ſetzen, und führte ſie mit wich¬
tiger Miene vor einen großen Spiegel, der den Fenſter¬
pfeiler vom Boden bis zur Decke bekleidete. Dort ſtellte
er ſie, den Rücken gegen das Glas gewendet, auf, und
die Jungfrauen ließen ihn einige Augenblicke gewähren,
da ſie nicht wußten, worum es ſich handelte. Mit Wohl¬
gefallen betrachtete er das Bild; denn er ſah nun vier
Figuren, ſtatt zweier, indem der Spiegel den Nacken und
die Rückſeite der ſchmucken Trägerinnen wiedergab. Um
ſie feſtzuhalten, fragte er ſie nach dem Taufnamen ihrer
Gebieterin, obſchon der denſelben bereits kannte, und
beide ſagten: „Sie heißt Lucia!“ Zugleich aber ver¬
ſpürten die Mägde den Muthwillen, ſtellten die Sachen
auf den Tiſch und liefen erröthend aus dem Zimmer;
draußen ließen ſie ein kurzes ſchnippiſches Gelächter
erſchallen, das gar luſtig durch die gewölbten Gänge
erklang. Bald aber guckten ihre zwei Geſichter wieder
zu einer andern Thüre des Zimmers herein, und die Eine
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 37. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/47>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.