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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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verkündigte mit so ziemlichen Worten, als ob sie nicht
eben laut gelacht hätte: noch sollen sie dem Herren sagen,
daß er unbedenklich in den nächsten Zimmern herum
spazieren möge, falls ihm die Zeit zu lang werden sollte;
es seien Bücher und dergleichen dort zu finden. Dann
verschwanden sie, indem sie einen Thürflügel halb geöffnet
ließen.

Reinhart that ihn ganz auf und trat in das anstoßende
Gemach, das jedoch außer einer gewöhnlichen Zimmer¬
ausstattung nichts enthielt; er öffnete daher die nächste,
blos angelehnte Thüre und entdeckte einen geräumigen
Saal, welcher eine Art Arbeitsmuseum der Dame Lucia
zu bilden schien. Ein Bücherschrank mit Glasthüren zeigte
eine stattliche Bibliothek, die indessen durch ihr Aussehen
bewies, daß sie schon älteren Herkommens war. An
anderen Stellen des Saales hing eine Anzahl Bilder
oder war zur bequemen Betrachtung auf den Boden
gestellt. Es schienen meistens gut gedachte und gemalte
Landschaften oder dann einzelne schöne Portraitköpfe,
beides aber nicht von und nach bekannten Meistern,
sondern von solchen, deren Gestirn nicht in die Weite zu
leuchten pflegt oder wieder vergessen wird. Oefter sieht
man in alten Häusern derlei Anschaffungen vergangener
Geschlechter; kunstliebende Familienhäupter unterstützten
landsmännische Talente, oder brachten von ihren Reisen
dies oder jenes löbliche, durchaus tüchtige Gemälde nach
Hause, von dessen Urheber nie wieder etwas vernommen

verkündigte mit ſo ziemlichen Worten, als ob ſie nicht
eben laut gelacht hätte: noch ſollen ſie dem Herren ſagen,
daß er unbedenklich in den nächſten Zimmern herum
ſpazieren möge, falls ihm die Zeit zu lang werden ſollte;
es ſeien Bücher und dergleichen dort zu finden. Dann
verſchwanden ſie, indem ſie einen Thürflügel halb geöffnet
ließen.

Reinhart that ihn ganz auf und trat in das anſtoßende
Gemach, das jedoch außer einer gewöhnlichen Zimmer¬
ausſtattung nichts enthielt; er öffnete daher die nächſte,
blos angelehnte Thüre und entdeckte einen geräumigen
Saal, welcher eine Art Arbeitsmuſeum der Dame Lucia
zu bilden ſchien. Ein Bücherſchrank mit Glasthüren zeigte
eine ſtattliche Bibliothek, die indeſſen durch ihr Ausſehen
bewies, daß ſie ſchon älteren Herkommens war. An
anderen Stellen des Saales hing eine Anzahl Bilder
oder war zur bequemen Betrachtung auf den Boden
geſtellt. Es ſchienen meiſtens gut gedachte und gemalte
Landſchaften oder dann einzelne ſchöne Portraitköpfe,
beides aber nicht von und nach bekannten Meiſtern,
ſondern von ſolchen, deren Geſtirn nicht in die Weite zu
leuchten pflegt oder wieder vergeſſen wird. Oefter ſieht
man in alten Häuſern derlei Anſchaffungen vergangener
Geſchlechter; kunſtliebende Familienhäupter unterſtützten
landsmänniſche Talente, oder brachten von ihren Reiſen
dies oder jenes löbliche, durchaus tüchtige Gemälde nach
Hauſe, von deſſen Urheber nie wieder etwas vernommen

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[38/0048] verkündigte mit ſo ziemlichen Worten, als ob ſie nicht eben laut gelacht hätte: noch ſollen ſie dem Herren ſagen, daß er unbedenklich in den nächſten Zimmern herum ſpazieren möge, falls ihm die Zeit zu lang werden ſollte; es ſeien Bücher und dergleichen dort zu finden. Dann verſchwanden ſie, indem ſie einen Thürflügel halb geöffnet ließen. Reinhart that ihn ganz auf und trat in das anſtoßende Gemach, das jedoch außer einer gewöhnlichen Zimmer¬ ausſtattung nichts enthielt; er öffnete daher die nächſte, blos angelehnte Thüre und entdeckte einen geräumigen Saal, welcher eine Art Arbeitsmuſeum der Dame Lucia zu bilden ſchien. Ein Bücherſchrank mit Glasthüren zeigte eine ſtattliche Bibliothek, die indeſſen durch ihr Ausſehen bewies, daß ſie ſchon älteren Herkommens war. An anderen Stellen des Saales hing eine Anzahl Bilder oder war zur bequemen Betrachtung auf den Boden geſtellt. Es ſchienen meiſtens gut gedachte und gemalte Landſchaften oder dann einzelne ſchöne Portraitköpfe, beides aber nicht von und nach bekannten Meiſtern, ſondern von ſolchen, deren Geſtirn nicht in die Weite zu leuchten pflegt oder wieder vergeſſen wird. Oefter ſieht man in alten Häuſern derlei Anſchaffungen vergangener Geſchlechter; kunſtliebende Familienhäupter unterſtützten landsmänniſche Talente, oder brachten von ihren Reiſen dies oder jenes löbliche, durchaus tüchtige Gemälde nach Hauſe, von deſſen Urheber nie wieder etwas vernommen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/48>, abgerufen am 29.04.2024.