durch die Gegenwart meiner braven Mädchen nicht beleidigt fühlen!"
"Im Gegentheil," erwiderte Reinhart, "sie trägt dazu bei, meine Kur zu befördern !"
"Welche Kur?" fragte Lucie, und er antwortete:
"Die Augenkur! Ich habe mir nämlich durch meine Arbeit die Augen geschwächt und nun in einem alten ehrlichen Volksarzneibuche gelesen: kranke Augen sind zu stärken und gesunden durch fleißiges Anschauen schöner Weibsbilder, auch durch öfteres Ausschütten und Betrachten eines Beutels voll neuer Goldstücke! Das letztere Mittel dürfte kaum stark auf mich einwirken; das erstere hingegen scheint mir allen Ernstes etwas für sich zu haben; denn schon schmerzt mich das Sehen fast gar nicht mehr, wäh¬ rend ich noch heute früh es übel empfand!"
Diese Worte äußerte Reinhard durchaus ernsthaft und eben so ehrlich, als jenes Heilmittel in dem alten Arznei¬ buche gemeint war. Indem er daher an nichts weniger als an eine Schmeichelei dachte, war es umsomehr eine solche und zwar eine so wirksame, daß die Frauensleute des Spottes vergaßen. Fräulein Lucie wurde auf's Neue verlegen und wußte nicht, was sie aus dem wunderlichen Gaste machen sollte, und die Mägdlein beäugelten ihn heimlich als eine kurzweilige und zuträgliche Abwechslung in diesem klosterartigen Hause. In der That war es ihm so wenig um grobe Schmeicheleien zu thun, daß er das Gesagte schon bereute und, um es zu mildern und
durch die Gegenwart meiner braven Mädchen nicht beleidigt fühlen!“
„Im Gegentheil,“ erwiderte Reinhart, „ſie trägt dazu bei, meine Kur zu befördern !“
„Welche Kur?“ fragte Lucie, und er antwortete:
„Die Augenkur! Ich habe mir nämlich durch meine Arbeit die Augen geſchwächt und nun in einem alten ehrlichen Volksarzneibuche geleſen: kranke Augen ſind zu ſtärken und geſunden durch fleißiges Anſchauen ſchöner Weibsbilder, auch durch öfteres Ausſchütten und Betrachten eines Beutels voll neuer Goldſtücke! Das letztere Mittel dürfte kaum ſtark auf mich einwirken; das erſtere hingegen ſcheint mir allen Ernſtes etwas für ſich zu haben; denn ſchon ſchmerzt mich das Sehen faſt gar nicht mehr, wäh¬ rend ich noch heute früh es übel empfand!“
Dieſe Worte äußerte Reinhard durchaus ernſthaft und eben ſo ehrlich, als jenes Heilmittel in dem alten Arznei¬ buche gemeint war. Indem er daher an nichts weniger als an eine Schmeichelei dachte, war es umſomehr eine ſolche und zwar eine ſo wirkſame, daß die Frauensleute des Spottes vergaßen. Fräulein Lucie wurde auf‘s Neue verlegen und wußte nicht, was ſie aus dem wunderlichen Gaſte machen ſollte, und die Mägdlein beäugelten ihn heimlich als eine kurzweilige und zuträgliche Abwechslung in dieſem kloſterartigen Hauſe. In der That war es ihm ſo wenig um grobe Schmeicheleien zu thun, daß er das Geſagte ſchon bereute und, um es zu mildern und
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durch die Gegenwart meiner braven Mädchen nicht beleidigt
fühlen!“
„Im Gegentheil,“ erwiderte Reinhart, „ſie trägt dazu
bei, meine Kur zu befördern !“
„Welche Kur?“ fragte Lucie, und er antwortete:
„Die Augenkur! Ich habe mir nämlich durch meine
Arbeit die Augen geſchwächt und nun in einem alten
ehrlichen Volksarzneibuche geleſen: kranke Augen ſind zu
ſtärken und geſunden durch fleißiges Anſchauen ſchöner
Weibsbilder, auch durch öfteres Ausſchütten und Betrachten
eines Beutels voll neuer Goldſtücke! Das letztere Mittel
dürfte kaum ſtark auf mich einwirken; das erſtere hingegen
ſcheint mir allen Ernſtes etwas für ſich zu haben; denn
ſchon ſchmerzt mich das Sehen faſt gar nicht mehr, wäh¬
rend ich noch heute früh es übel empfand!“
Dieſe Worte äußerte Reinhard durchaus ernſthaft und
eben ſo ehrlich, als jenes Heilmittel in dem alten Arznei¬
buche gemeint war. Indem er daher an nichts weniger
als an eine Schmeichelei dachte, war es umſomehr eine
ſolche und zwar eine ſo wirkſame, daß die Frauensleute
des Spottes vergaßen. Fräulein Lucie wurde auf‘s Neue
verlegen und wußte nicht, was ſie aus dem wunderlichen
Gaſte machen ſollte, und die Mägdlein beäugelten ihn
heimlich als eine kurzweilige und zuträgliche Abwechslung
in dieſem kloſterartigen Hauſe. In der That war es
ihm ſo wenig um grobe Schmeicheleien zu thun, daß er
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/55>, abgerufen am 24.11.2024.
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