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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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davon abzulenken, hinzufügte, er habe auch einen glück¬
lichen Tag gehabt und mancherlei Schönes gesehen. So
erzählte er auch von der hübschen Wirthstochter in Wald¬
horn und fragte, welches Bewandtniß es mit dieser eigen¬
thümlichen Person habe?

Zugleich jedoch berichtete er mit der unklugen Aufrichtig¬
keit, welche ihn seit seiner Ankunft plagte, den vollständigen
Hergang und die Beschaffenheit seines Ausfluges, die
Entdeckung des weisen Sinngedichtes, die Begegnung mit
der Zöllnerin und diejenige mit der Pfarrerstochter, sowie
endlich mit der Waldhornstochter. Denn so lange er unter
den Augen seiner jetzigen Gastherrin saß oder stand, trieb
es ihn wie ein Zauber zur Offenherzigkeit, und wenn er
die ärgsten Teufeleien begangen, so würde ihm das Ge¬
ständniß derselben über die Lippen gesprungen sein.

Allein obgleich diese Wirkung Lucien nur zum Ruhme
gereichte, schien sie sich dennoch nicht geschmeichelt zu fühlen.
Sich des Zettels erinnernd, den ihr Reinhart erst statt
des Briefes in die Hand gegeben hatte, röthete sich ihr
Gesicht in anmuthigem Zorn, und plötzlich stand sie auf
und sagte mit verdächtigem Lächeln:

"So gedenken Sie wol Ihre eleganten Abenteuer in
diesem Hause fortzusetzen, und sind nur in dieser schmeichel¬
haften Absicht gekommen?"

Worauf sie anfing, ziemlich rasch im Gemach auf und
nieder zu gehen, während die zwei Mädchen, als erbos'te
Schleppträgerinnen ihres Zornes, ebenfalls aufsprangen

davon abzulenken, hinzufügte, er habe auch einen glück¬
lichen Tag gehabt und mancherlei Schönes geſehen. So
erzählte er auch von der hübſchen Wirthstochter in Wald¬
horn und fragte, welches Bewandtniß es mit dieſer eigen¬
thümlichen Perſon habe?

Zugleich jedoch berichtete er mit der unklugen Aufrichtig¬
keit, welche ihn ſeit ſeiner Ankunft plagte, den vollſtändigen
Hergang und die Beſchaffenheit ſeines Ausfluges, die
Entdeckung des weiſen Sinngedichtes, die Begegnung mit
der Zöllnerin und diejenige mit der Pfarrerstochter, ſowie
endlich mit der Waldhornstochter. Denn ſo lange er unter
den Augen ſeiner jetzigen Gaſtherrin ſaß oder ſtand, trieb
es ihn wie ein Zauber zur Offenherzigkeit, und wenn er
die ärgſten Teufeleien begangen, ſo würde ihm das Ge¬
ſtändniß derſelben über die Lippen geſprungen ſein.

Allein obgleich dieſe Wirkung Lucien nur zum Ruhme
gereichte, ſchien ſie ſich dennoch nicht geſchmeichelt zu fühlen.
Sich des Zettels erinnernd, den ihr Reinhart erſt ſtatt
des Briefes in die Hand gegeben hatte, röthete ſich ihr
Geſicht in anmuthigem Zorn, und plötzlich ſtand ſie auf
und ſagte mit verdächtigem Lächeln:

„So gedenken Sie wol Ihre eleganten Abenteuer in
dieſem Hauſe fortzuſetzen, und ſind nur in dieſer ſchmeichel¬
haften Abſicht gekommen?“

Worauf ſie anfing, ziemlich raſch im Gemach auf und
nieder zu gehen, während die zwei Mädchen, als erboſ'te
Schleppträgerinnen ihres Zornes, ebenfalls aufſprangen

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[46/0056] davon abzulenken, hinzufügte, er habe auch einen glück¬ lichen Tag gehabt und mancherlei Schönes geſehen. So erzählte er auch von der hübſchen Wirthstochter in Wald¬ horn und fragte, welches Bewandtniß es mit dieſer eigen¬ thümlichen Perſon habe? Zugleich jedoch berichtete er mit der unklugen Aufrichtig¬ keit, welche ihn ſeit ſeiner Ankunft plagte, den vollſtändigen Hergang und die Beſchaffenheit ſeines Ausfluges, die Entdeckung des weiſen Sinngedichtes, die Begegnung mit der Zöllnerin und diejenige mit der Pfarrerstochter, ſowie endlich mit der Waldhornstochter. Denn ſo lange er unter den Augen ſeiner jetzigen Gaſtherrin ſaß oder ſtand, trieb es ihn wie ein Zauber zur Offenherzigkeit, und wenn er die ärgſten Teufeleien begangen, ſo würde ihm das Ge¬ ſtändniß derſelben über die Lippen geſprungen ſein. Allein obgleich dieſe Wirkung Lucien nur zum Ruhme gereichte, ſchien ſie ſich dennoch nicht geſchmeichelt zu fühlen. Sich des Zettels erinnernd, den ihr Reinhart erſt ſtatt des Briefes in die Hand gegeben hatte, röthete ſich ihr Geſicht in anmuthigem Zorn, und plötzlich ſtand ſie auf und ſagte mit verdächtigem Lächeln: „So gedenken Sie wol Ihre eleganten Abenteuer in dieſem Hauſe fortzuſetzen, und ſind nur in dieſer ſchmeichel¬ haften Abſicht gekommen?“ Worauf ſie anfing, ziemlich raſch im Gemach auf und nieder zu gehen, während die zwei Mädchen, als erboſ'te Schleppträgerinnen ihres Zornes, ebenfalls aufſprangen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/56>, abgerufen am 25.11.2024.