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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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schwer falle. Aber auch in Hinsicht des natürlichen Ver¬
standes, an irgend einem Verstehen des Erheblichen und
Besseren im menschlichen Leben fehlte es ihr so sehr, daß
sie als ein vollständiges Schaf in der dunkelsten Gemüths¬
lage verharrte, indessen sie doch durch ihre Zungen¬
künste in lächerlichen Dingen und durch eine große
Gewandtheit in Kindereien stets den Ruf eines durchtrieben
klugen Wesens behielt. Doch nur in zahlreicher Umgebung,
wo die Leute kamen und gingen und es auf kein Stich¬
halten auslief, bewährte sich ihre Weisheit; sobald sie mit
einer halbwegs verständigen Person allein war, so dauerte
die Herrlichkeit keine Stunde und sie gerieth auf's Trockene.
Da erklärte sie dann die Leute für langweilige Einfalts¬
pinsel, mit denen nichts anzufangen sei. Befand sie sich
aber mit Menschen ihres eigenen Schlages allein, so ent¬
stand aus lauter Dummheit zwischen ihnen die trostloseste
Stichelei und Zänkerei.

Dennoch hielt sie sich für einen Ausbund, strebte von
jeher nach großen Dingen, worunter sie natürlich vor
allem das Einfangen eines recht glänzenden jungen Herrn
verstand. Da sie aber, wie gesagt, nur im großen Haufen
ihre Stärke fand, so wollte es ihr nicht gelingen, ein
einzelnes Verhältniß abzusondern und ordentlich auf ein
Spülchen zu wickeln.

Als meine Großeltern noch lebten, gab es zuweilen viel
junge Leute hier, die sich nicht übel belustigten und die
Gegend unsicher machten. Vorzüglich gefielen sich die

ſchwer falle. Aber auch in Hinſicht des natürlichen Ver¬
ſtandes, an irgend einem Verſtehen des Erheblichen und
Beſſeren im menſchlichen Leben fehlte es ihr ſo ſehr, daß
ſie als ein vollſtändiges Schaf in der dunkelſten Gemüths¬
lage verharrte, indeſſen ſie doch durch ihre Zungen¬
künſte in lächerlichen Dingen und durch eine große
Gewandtheit in Kindereien ſtets den Ruf eines durchtrieben
klugen Weſens behielt. Doch nur in zahlreicher Umgebung,
wo die Leute kamen und gingen und es auf kein Stich¬
halten auslief, bewährte ſich ihre Weisheit; ſobald ſie mit
einer halbwegs verſtändigen Perſon allein war, ſo dauerte
die Herrlichkeit keine Stunde und ſie gerieth auf's Trockene.
Da erklärte ſie dann die Leute für langweilige Einfalts¬
pinſel, mit denen nichts anzufangen ſei. Befand ſie ſich
aber mit Menſchen ihres eigenen Schlages allein, ſo ent¬
ſtand aus lauter Dummheit zwiſchen ihnen die troſtloſeſte
Stichelei und Zänkerei.

Dennoch hielt ſie ſich für einen Ausbund, ſtrebte von
jeher nach großen Dingen, worunter ſie natürlich vor
allem das Einfangen eines recht glänzenden jungen Herrn
verſtand. Da ſie aber, wie geſagt, nur im großen Haufen
ihre Stärke fand, ſo wollte es ihr nicht gelingen, ein
einzelnes Verhältniß abzuſondern und ordentlich auf ein
Spülchen zu wickeln.

Als meine Großeltern noch lebten, gab es zuweilen viel
junge Leute hier, die ſich nicht übel beluſtigten und die
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[50/0060] ſchwer falle. Aber auch in Hinſicht des natürlichen Ver¬ ſtandes, an irgend einem Verſtehen des Erheblichen und Beſſeren im menſchlichen Leben fehlte es ihr ſo ſehr, daß ſie als ein vollſtändiges Schaf in der dunkelſten Gemüths¬ lage verharrte, indeſſen ſie doch durch ihre Zungen¬ künſte in lächerlichen Dingen und durch eine große Gewandtheit in Kindereien ſtets den Ruf eines durchtrieben klugen Weſens behielt. Doch nur in zahlreicher Umgebung, wo die Leute kamen und gingen und es auf kein Stich¬ halten auslief, bewährte ſich ihre Weisheit; ſobald ſie mit einer halbwegs verſtändigen Perſon allein war, ſo dauerte die Herrlichkeit keine Stunde und ſie gerieth auf's Trockene. Da erklärte ſie dann die Leute für langweilige Einfalts¬ pinſel, mit denen nichts anzufangen ſei. Befand ſie ſich aber mit Menſchen ihres eigenen Schlages allein, ſo ent¬ ſtand aus lauter Dummheit zwiſchen ihnen die troſtloſeſte Stichelei und Zänkerei. Dennoch hielt ſie ſich für einen Ausbund, ſtrebte von jeher nach großen Dingen, worunter ſie natürlich vor allem das Einfangen eines recht glänzenden jungen Herrn verſtand. Da ſie aber, wie geſagt, nur im großen Haufen ihre Stärke fand, ſo wollte es ihr nicht gelingen, ein einzelnes Verhältniß abzuſondern und ordentlich auf ein Spülchen zu wickeln. Als meine Großeltern noch lebten, gab es zuweilen viel junge Leute hier, die ſich nicht übel beluſtigten und die Gegend unſicher machten. Vorzüglich gefielen ſich die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/60>, abgerufen am 25.11.2024.