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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Salome küßte, fühlte er sich unversehens von zwei Armen
umfangen, und seine Küsse begegneten denjenigen eines
leibhaftigen Mundes. Erschreckt hielt er inne und wollte
aufspringen; allein Salome ließ ihn nicht, sondern erstickte
ihn fast mit Küssen und rief laut: Sieh, Liebster, so viel
Küsse ich dir jetzt gebe, so viel Blitze sollen dich treffen,
wenn du mir nicht treu bleibst!

Zugleich brach jetzt das lauschende Volk los, bereit
gehaltene Lichter wurden rasch angezündet und damit in
die Laube geleuchtet, und unter rauschendem Gelächter
und lauten Glückwünschen wurde das Paar entdeckt und
umringt. Aber auch die Eltern des Mädchens kamen
herbei, ein aus dem mehrjährigen Militärdienst heim¬
gekehrter Bruder, der nicht heiter aussah, Ackerknechte und
ländliche Gäste, die noch in der Wirthsstube gesessen.
Diese alle machten jetzt unheimliche Gesichter; das Pärchen
wurde an der Spitze der ganzen Schaar in das Haus
begleitet, wo die Eltern Erklärung verlangten. Salome
weinte wieder und ihr war sehr bang; Drogo wollte sich
sachte aus der Verlegenheit ziehen und sich abseits drücken,
seine Freunde selbst jedoch verlegten ihm den Weg und
mochten ihm aus Neid und Schadenfreude sein Schicksal
gönnen; sie beredeten ihn ebenso ernsthaft, wie die Ver¬
wandten des Mädchens, sich zu erklären, während dieses,
wie gebändigt, hold und traurig da saß und der junge
Mensch noch das frische Gefühl ihrer Liebkosungen em¬

Salome küßte, fühlte er ſich unverſehens von zwei Armen
umfangen, und ſeine Küſſe begegneten denjenigen eines
leibhaftigen Mundes. Erſchreckt hielt er inne und wollte
aufſpringen; allein Salome ließ ihn nicht, ſondern erſtickte
ihn faſt mit Küſſen und rief laut: Sieh, Liebſter, ſo viel
Küſſe ich dir jetzt gebe, ſo viel Blitze ſollen dich treffen,
wenn du mir nicht treu bleibſt!

Zugleich brach jetzt das lauſchende Volk los, bereit
gehaltene Lichter wurden raſch angezündet und damit in
die Laube geleuchtet, und unter rauſchendem Gelächter
und lauten Glückwünſchen wurde das Paar entdeckt und
umringt. Aber auch die Eltern des Mädchens kamen
herbei, ein aus dem mehrjährigen Militärdienſt heim¬
gekehrter Bruder, der nicht heiter ausſah, Ackerknechte und
ländliche Gäſte, die noch in der Wirthsſtube geſeſſen.
Dieſe alle machten jetzt unheimliche Geſichter; das Pärchen
wurde an der Spitze der ganzen Schaar in das Haus
begleitet, wo die Eltern Erklärung verlangten. Salome
weinte wieder und ihr war ſehr bang; Drogo wollte ſich
ſachte aus der Verlegenheit ziehen und ſich abſeits drücken,
ſeine Freunde ſelbſt jedoch verlegten ihm den Weg und
mochten ihm aus Neid und Schadenfreude ſein Schickſal
gönnen; ſie beredeten ihn ebenſo ernſthaft, wie die Ver¬
wandten des Mädchens, ſich zu erklären, während dieſes,
wie gebändigt, hold und traurig da ſaß und der junge
Menſch noch das friſche Gefühl ihrer Liebkoſungen em¬

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[54/0064] Salome küßte, fühlte er ſich unverſehens von zwei Armen umfangen, und ſeine Küſſe begegneten denjenigen eines leibhaftigen Mundes. Erſchreckt hielt er inne und wollte aufſpringen; allein Salome ließ ihn nicht, ſondern erſtickte ihn faſt mit Küſſen und rief laut: Sieh, Liebſter, ſo viel Küſſe ich dir jetzt gebe, ſo viel Blitze ſollen dich treffen, wenn du mir nicht treu bleibſt! Zugleich brach jetzt das lauſchende Volk los, bereit gehaltene Lichter wurden raſch angezündet und damit in die Laube geleuchtet, und unter rauſchendem Gelächter und lauten Glückwünſchen wurde das Paar entdeckt und umringt. Aber auch die Eltern des Mädchens kamen herbei, ein aus dem mehrjährigen Militärdienſt heim¬ gekehrter Bruder, der nicht heiter ausſah, Ackerknechte und ländliche Gäſte, die noch in der Wirthsſtube geſeſſen. Dieſe alle machten jetzt unheimliche Geſichter; das Pärchen wurde an der Spitze der ganzen Schaar in das Haus begleitet, wo die Eltern Erklärung verlangten. Salome weinte wieder und ihr war ſehr bang; Drogo wollte ſich ſachte aus der Verlegenheit ziehen und ſich abſeits drücken, ſeine Freunde ſelbſt jedoch verlegten ihm den Weg und mochten ihm aus Neid und Schadenfreude ſein Schickſal gönnen; ſie beredeten ihn ebenſo ernſthaft, wie die Ver¬ wandten des Mädchens, ſich zu erklären, während dieſes, wie gebändigt, hold und traurig da ſaß und der junge Menſch noch das friſche Gefühl ihrer Liebkoſungen em¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/64>, abgerufen am 25.11.2024.