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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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pfand. So verlobte er sich denn feierlich mit ihr und
versprach ihr vor allen Zeugen die Ehe.

Es fiel ihm nun nicht schwer, die Zustimmung der
Seinigen zu erlangen, die von jeher thun mußten, was
ihm beliebte, und so wurde diese Mißheirath, die eigent¬
lich nur äußerlich eine solche war, allseitig beschlossen.
Aber, o Himmel! es wäre zehnmal besser gewesen, wenn
es innerlich eine solche und die beiden Brautleute sich
nicht vollkommen gleich an Narrheit gewesen wären! Die
Braut wurde jetzt modisch gekleidet und ein halbes Jahr
vor der Hochzeit in die Stadt gebracht, wo sie die so¬
genannte feinere Sitte und die Führung eines Hauswesens
von gutem Ton erlernen sollte. Damit war sie aber auf
ein Meer gefahren, auf welchem sie das Steuer ihres
Schiffleins aus der Hand verlor. Eine ihren künftigen
Schwiegereltern befreundete Familie nahm sie aus Ge¬
fälligkeit bei sich auf. Diese Leute lebten in großer Ruhe
und voll Anstand und machten nicht viel Worte; schnelle,
unbedachte Reden und Antworten waren da nicht beliebt,
sondern es mußte alles, was gesagt wurde, gediegen und
wohlbegründet erscheinen; im Stillen aber wurden nicht
liebevolle Urtheile ziemlich schnell flüssig. Salome wollte
es im Anfang recht gut machen; da sie aber einen durch¬
aus unbeweglichen Verstand besaß, so gerieth die Sache
nicht gut. Ihre Gebarungen und Manieren, welche sich
in der freien Luft und im Wirthshause hübsch genug
ausgenommen, waren in den Stadthäusern viel zu breit

pfand. So verlobte er ſich denn feierlich mit ihr und
verſprach ihr vor allen Zeugen die Ehe.

Es fiel ihm nun nicht ſchwer, die Zuſtimmung der
Seinigen zu erlangen, die von jeher thun mußten, was
ihm beliebte, und ſo wurde dieſe Mißheirath, die eigent¬
lich nur äußerlich eine ſolche war, allſeitig beſchloſſen.
Aber, o Himmel! es wäre zehnmal beſſer geweſen, wenn
es innerlich eine ſolche und die beiden Brautleute ſich
nicht vollkommen gleich an Narrheit geweſen wären! Die
Braut wurde jetzt modiſch gekleidet und ein halbes Jahr
vor der Hochzeit in die Stadt gebracht, wo ſie die ſo¬
genannte feinere Sitte und die Führung eines Hausweſens
von gutem Ton erlernen ſollte. Damit war ſie aber auf
ein Meer gefahren, auf welchem ſie das Steuer ihres
Schiffleins aus der Hand verlor. Eine ihren künftigen
Schwiegereltern befreundete Familie nahm ſie aus Ge¬
fälligkeit bei ſich auf. Dieſe Leute lebten in großer Ruhe
und voll Anſtand und machten nicht viel Worte; ſchnelle,
unbedachte Reden und Antworten waren da nicht beliebt,
ſondern es mußte alles, was geſagt wurde, gediegen und
wohlbegründet erſcheinen; im Stillen aber wurden nicht
liebevolle Urtheile ziemlich ſchnell flüſſig. Salome wollte
es im Anfang recht gut machen; da ſie aber einen durch¬
aus unbeweglichen Verſtand beſaß, ſo gerieth die Sache
nicht gut. Ihre Gebarungen und Manieren, welche ſich
in der freien Luft und im Wirthshauſe hübſch genug
ausgenommen, waren in den Stadthäuſern viel zu breit

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[55/0065] pfand. So verlobte er ſich denn feierlich mit ihr und verſprach ihr vor allen Zeugen die Ehe. Es fiel ihm nun nicht ſchwer, die Zuſtimmung der Seinigen zu erlangen, die von jeher thun mußten, was ihm beliebte, und ſo wurde dieſe Mißheirath, die eigent¬ lich nur äußerlich eine ſolche war, allſeitig beſchloſſen. Aber, o Himmel! es wäre zehnmal beſſer geweſen, wenn es innerlich eine ſolche und die beiden Brautleute ſich nicht vollkommen gleich an Narrheit geweſen wären! Die Braut wurde jetzt modiſch gekleidet und ein halbes Jahr vor der Hochzeit in die Stadt gebracht, wo ſie die ſo¬ genannte feinere Sitte und die Führung eines Hausweſens von gutem Ton erlernen ſollte. Damit war ſie aber auf ein Meer gefahren, auf welchem ſie das Steuer ihres Schiffleins aus der Hand verlor. Eine ihren künftigen Schwiegereltern befreundete Familie nahm ſie aus Ge¬ fälligkeit bei ſich auf. Dieſe Leute lebten in großer Ruhe und voll Anſtand und machten nicht viel Worte; ſchnelle, unbedachte Reden und Antworten waren da nicht beliebt, ſondern es mußte alles, was geſagt wurde, gediegen und wohlbegründet erſcheinen; im Stillen aber wurden nicht liebevolle Urtheile ziemlich ſchnell flüſſig. Salome wollte es im Anfang recht gut machen; da ſie aber einen durch¬ aus unbeweglichen Verſtand beſaß, ſo gerieth die Sache nicht gut. Ihre Gebarungen und Manieren, welche ſich in der freien Luft und im Wirthshauſe hübſch genug ausgenommen, waren in den Stadthäuſern viel zu breit

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/65>, abgerufen am 25.11.2024.