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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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und zu hart, und ihre Witze wurden urplötzlich stumpf
und ungeschickt. Sie patschte herum, wollte nach ihrer
Gewohnheit immer sprechen und wußte es doch nicht an¬
zubringen; bald war sie demüthig und höflich, bald warf
sie sich auf und wollte sich nichts vergeben, genug, sie
arbeitete sich so tief als möglich in das Ungeschick hinein
und wurde von den feinen Leuten, die sie von vornherein
scheel angesehen hatten, unter der Hand nur das Kameel
genannt, welcher Titel sich behende verbreitete und besonders
in den Häusern beliebt wurde, wo man für die Töchter
auf ihren Verlobten gerechnet hatte. Denn obgleich der
auch kein Kirchenlicht vorstellte, so war er im bewußten
Punkte doch ein unentbehrlicher Gegenstand, den man nur
mit Verdruß durch die Bauerntochter aus der Berechnung
gezogen sah. Die weibliche Gesellschaft versäumte nicht,
die Mißachtung sichtbar zu machen, in welche die Arme
gerieth, und sorgte dafür, daß der Ehrentitel dem Bräutigam
zeitig zu Gehör kam, während sie gegen diesen selbst ein
zartgefühltes, schonendes Bedauern heuchelte, wie wenn er
als das edelste Kleinod der Welt auf schreckliche Weise
einer Unwürdigen zum Opfer gefallen wäre. Selbst die
Herren, welche der Salome auf dem Lande schön gethan
und nicht verschmäht hatten, ihr Tage lang den Hof zu
machen, wollten sich jetzt nicht bloß stellen und ließen sie
schmählich im Stich.

So kam es dazu, daß der Bräutigam, wenn die Braut
nicht gegenwärtig war, sich für einen armen unglücklichen

und zu hart, und ihre Witze wurden urplötzlich ſtumpf
und ungeſchickt. Sie patſchte herum, wollte nach ihrer
Gewohnheit immer ſprechen und wußte es doch nicht an¬
zubringen; bald war ſie demüthig und höflich, bald warf
ſie ſich auf und wollte ſich nichts vergeben, genug, ſie
arbeitete ſich ſo tief als möglich in das Ungeſchick hinein
und wurde von den feinen Leuten, die ſie von vornherein
ſcheel angeſehen hatten, unter der Hand nur das Kameel
genannt, welcher Titel ſich behende verbreitete und beſonders
in den Häuſern beliebt wurde, wo man für die Töchter
auf ihren Verlobten gerechnet hatte. Denn obgleich der
auch kein Kirchenlicht vorſtellte, ſo war er im bewußten
Punkte doch ein unentbehrlicher Gegenſtand, den man nur
mit Verdruß durch die Bauerntochter aus der Berechnung
gezogen ſah. Die weibliche Geſellſchaft verſäumte nicht,
die Mißachtung ſichtbar zu machen, in welche die Arme
gerieth, und ſorgte dafür, daß der Ehrentitel dem Bräutigam
zeitig zu Gehör kam, während ſie gegen dieſen ſelbſt ein
zartgefühltes, ſchonendes Bedauern heuchelte, wie wenn er
als das edelſte Kleinod der Welt auf ſchreckliche Weiſe
einer Unwürdigen zum Opfer gefallen wäre. Selbſt die
Herren, welche der Salome auf dem Lande ſchön gethan
und nicht verſchmäht hatten, ihr Tage lang den Hof zu
machen, wollten ſich jetzt nicht bloß ſtellen und ließen ſie
ſchmählich im Stich.

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[56/0066] und zu hart, und ihre Witze wurden urplötzlich ſtumpf und ungeſchickt. Sie patſchte herum, wollte nach ihrer Gewohnheit immer ſprechen und wußte es doch nicht an¬ zubringen; bald war ſie demüthig und höflich, bald warf ſie ſich auf und wollte ſich nichts vergeben, genug, ſie arbeitete ſich ſo tief als möglich in das Ungeſchick hinein und wurde von den feinen Leuten, die ſie von vornherein ſcheel angeſehen hatten, unter der Hand nur das Kameel genannt, welcher Titel ſich behende verbreitete und beſonders in den Häuſern beliebt wurde, wo man für die Töchter auf ihren Verlobten gerechnet hatte. Denn obgleich der auch kein Kirchenlicht vorſtellte, ſo war er im bewußten Punkte doch ein unentbehrlicher Gegenſtand, den man nur mit Verdruß durch die Bauerntochter aus der Berechnung gezogen ſah. Die weibliche Geſellſchaft verſäumte nicht, die Mißachtung ſichtbar zu machen, in welche die Arme gerieth, und ſorgte dafür, daß der Ehrentitel dem Bräutigam zeitig zu Gehör kam, während ſie gegen dieſen ſelbſt ein zartgefühltes, ſchonendes Bedauern heuchelte, wie wenn er als das edelſte Kleinod der Welt auf ſchreckliche Weiſe einer Unwürdigen zum Opfer gefallen wäre. Selbſt die Herren, welche der Salome auf dem Lande ſchön gethan und nicht verſchmäht hatten, ihr Tage lang den Hof zu machen, wollten ſich jetzt nicht bloß ſtellen und ließen ſie ſchmählich im Stich. So kam es dazu, daß der Bräutigam, wenn die Braut nicht gegenwärtig war, ſich für einen armen unglücklichen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/66>, abgerufen am 26.11.2024.