Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

Umschweife. Sie stellten noch die ältere echte Art
amerikanischen Wesens dar und gingen den geraden Weg,
ohne um die hundert kleinen Hinterhalte und Absichtlich¬
keiten sich zu kümmern oder sie auch nur zu bemerken;
sie ließen es bei Ja und Nein bewenden und sagten nicht
gern eine Sache zweimal.

Nun erstaunte Erwin, von dieser oder jener Schönen
dann sich plötzlich den Rücken zugewendet zu sehen, wenn
er auf eine Frage oder Behauptung nach seinem besten
Wissen ein einfaches Ja oder Nein erwidert hatte; noch
weniger konnte er sich erklären, warum eine Andere das
selbst begonnene Gespräch nach zwei Minuten abbrach, in
dem Augenblicke, wo er demselben durch eine ehrliche
Einwendung festeren Halt gab; unbegreiflich erschien ihm
eine Dritte, die wiederholt seine Vorstellung verlangt,
ihn dann nach dem Klima seiner Heimat befragt und
ohne die Antwort abzuwarten, mit Andern ein neues
Gespräch eröffnete. Diese Schneidigkeit war allerdings
mehr nur der Mantel für innere Unfreiheit, wie die
Zurückhaltung überhaupt, mit welcher er mit seinen Ge¬
fährten behandelt wurde, wo er hinkam, während sie
gelegentlich entdeckten, daß in ihrer Abwesenheit das
breiteste Studium ihrer Personen stattfand. Wenn in
diesen Gärten auch hie und da eine Pflanze blühte, die
unbefangener und freundlicher dreinschaute, so war auch
diese überwacht und sie hütete sich ängstlich, nicht durch
die Hecke zu wachsen.

Umſchweife. Sie ſtellten noch die ältere echte Art
amerikaniſchen Weſens dar und gingen den geraden Weg,
ohne um die hundert kleinen Hinterhalte und Abſichtlich¬
keiten ſich zu kümmern oder ſie auch nur zu bemerken;
ſie ließen es bei Ja und Nein bewenden und ſagten nicht
gern eine Sache zweimal.

Nun erſtaunte Erwin, von dieſer oder jener Schönen
dann ſich plötzlich den Rücken zugewendet zu ſehen, wenn
er auf eine Frage oder Behauptung nach ſeinem beſten
Wiſſen ein einfaches Ja oder Nein erwidert hatte; noch
weniger konnte er ſich erklären, warum eine Andere das
ſelbſt begonnene Geſpräch nach zwei Minuten abbrach, in
dem Augenblicke, wo er demſelben durch eine ehrliche
Einwendung feſteren Halt gab; unbegreiflich erſchien ihm
eine Dritte, die wiederholt ſeine Vorſtellung verlangt,
ihn dann nach dem Klima ſeiner Heimat befragt und
ohne die Antwort abzuwarten, mit Andern ein neues
Geſpräch eröffnete. Dieſe Schneidigkeit war allerdings
mehr nur der Mantel für innere Unfreiheit, wie die
Zurückhaltung überhaupt, mit welcher er mit ſeinen Ge¬
fährten behandelt wurde, wo er hinkam, während ſie
gelegentlich entdeckten, daß in ihrer Abweſenheit das
breiteſte Studium ihrer Perſonen ſtattfand. Wenn in
dieſen Gärten auch hie und da eine Pflanze blühte, die
unbefangener und freundlicher dreinſchaute, ſo war auch
dieſe überwacht und ſie hütete ſich ängſtlich, nicht durch
die Hecke zu wachſen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0080" n="70"/>
Um&#x017F;chweife. Sie &#x017F;tellten noch die ältere echte Art<lb/>
amerikani&#x017F;chen We&#x017F;ens dar und gingen den geraden Weg,<lb/>
ohne um die hundert kleinen Hinterhalte und Ab&#x017F;ichtlich¬<lb/>
keiten &#x017F;ich zu kümmern oder &#x017F;ie auch nur zu bemerken;<lb/>
&#x017F;ie ließen es bei Ja und Nein bewenden und &#x017F;agten nicht<lb/>
gern eine Sache zweimal.</p><lb/>
          <p>Nun er&#x017F;taunte Erwin, von die&#x017F;er oder jener Schönen<lb/>
dann &#x017F;ich plötzlich den Rücken zugewendet zu &#x017F;ehen, wenn<lb/>
er auf eine Frage oder Behauptung nach &#x017F;einem be&#x017F;ten<lb/>
Wi&#x017F;&#x017F;en ein einfaches Ja oder Nein erwidert hatte; noch<lb/>
weniger konnte er &#x017F;ich erklären, warum eine Andere das<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t begonnene Ge&#x017F;präch nach zwei Minuten abbrach, in<lb/>
dem Augenblicke, wo er dem&#x017F;elben durch eine ehrliche<lb/>
Einwendung fe&#x017F;teren Halt gab; unbegreiflich er&#x017F;chien ihm<lb/>
eine Dritte, die wiederholt &#x017F;eine Vor&#x017F;tellung verlangt,<lb/>
ihn dann nach dem Klima &#x017F;einer Heimat befragt und<lb/>
ohne die Antwort abzuwarten, mit Andern ein neues<lb/>
Ge&#x017F;präch eröffnete. Die&#x017F;e Schneidigkeit war allerdings<lb/>
mehr nur der Mantel für innere Unfreiheit, wie die<lb/>
Zurückhaltung überhaupt, mit welcher er mit &#x017F;einen Ge¬<lb/>
fährten behandelt wurde, wo er hinkam, während &#x017F;ie<lb/>
gelegentlich entdeckten, daß in ihrer Abwe&#x017F;enheit das<lb/>
breite&#x017F;te Studium ihrer Per&#x017F;onen &#x017F;tattfand. Wenn in<lb/>
die&#x017F;en Gärten auch hie und da eine Pflanze blühte, die<lb/>
unbefangener und freundlicher drein&#x017F;chaute, &#x017F;o war auch<lb/>
die&#x017F;e überwacht und &#x017F;ie hütete &#x017F;ich äng&#x017F;tlich, nicht durch<lb/>
die Hecke zu wach&#x017F;en.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0080] Umſchweife. Sie ſtellten noch die ältere echte Art amerikaniſchen Weſens dar und gingen den geraden Weg, ohne um die hundert kleinen Hinterhalte und Abſichtlich¬ keiten ſich zu kümmern oder ſie auch nur zu bemerken; ſie ließen es bei Ja und Nein bewenden und ſagten nicht gern eine Sache zweimal. Nun erſtaunte Erwin, von dieſer oder jener Schönen dann ſich plötzlich den Rücken zugewendet zu ſehen, wenn er auf eine Frage oder Behauptung nach ſeinem beſten Wiſſen ein einfaches Ja oder Nein erwidert hatte; noch weniger konnte er ſich erklären, warum eine Andere das ſelbſt begonnene Geſpräch nach zwei Minuten abbrach, in dem Augenblicke, wo er demſelben durch eine ehrliche Einwendung feſteren Halt gab; unbegreiflich erſchien ihm eine Dritte, die wiederholt ſeine Vorſtellung verlangt, ihn dann nach dem Klima ſeiner Heimat befragt und ohne die Antwort abzuwarten, mit Andern ein neues Geſpräch eröffnete. Dieſe Schneidigkeit war allerdings mehr nur der Mantel für innere Unfreiheit, wie die Zurückhaltung überhaupt, mit welcher er mit ſeinen Ge¬ fährten behandelt wurde, wo er hinkam, während ſie gelegentlich entdeckten, daß in ihrer Abweſenheit das breiteſte Studium ihrer Perſonen ſtattfand. Wenn in dieſen Gärten auch hie und da eine Pflanze blühte, die unbefangener und freundlicher dreinſchaute, ſo war auch dieſe überwacht und ſie hütete ſich ängſtlich, nicht durch die Hecke zu wachſen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/80
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/80>, abgerufen am 26.11.2024.