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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Erwin gab es daher auf, ein Meer von Putz zu
befahren, in welchem so wenig persönliche Gestaltung
auftauchen wollte, und um sich von den bestandenen
Fährlichkeiten zu erholen, machte er längere Ausflüge. Er
hielt sich bald in einer der schön gelegenen Universitäts¬
städte auf, um zugleich die berühmtesten Gelehrten kennen
zu lernen und einige gute Studien mitzunehmen; bald
machte er sich mit den Orten bekannt, wo vorzüglich die
Kunst ihre Pflege fand, und schulte Sinn und Gemüth
an dem festlichen Wesen der Künstler. Auf allen diesen
Fahrten sah er sich in eine veredelte bürgerliche Welt
versetzt, welche, die besseren Güter des Lebens wahrend,
sich dieses Lebens mit ungeheucheltem Ernst erfreute. Hier
wurden die Kenntnisse und Fähigkeiten mit Fleiß und
Ehren geübt, schwärmten und glühten die Frauen wirklich
für das, was sie für schön und gut hielten, pflegte jedes
Mädchen seine Lieblingsneigung und baute dem Ideal
sein eigenes Kapellchen; und weit entfernt, ein aufrichtiges
Gespräch darüber zu hassen, wurden sie nicht müde vom
Guten und Rechten zu hören. Dazu brachte der Wechsel
der Jahreszeiten mannigfache Festfreuden, die bei aller
Einfachheit von altpoetischem Zauber belebt waren. Die
schönen Flußthäler, Berghöhen, Waldlandschaften wurden
als traute Heimat mit dankbarer Zufriedenheit genossen,
wobei sich die Frauen Tage lang in freier Luft und
guter Laune bewegten; der Waldduft schien ihnen von
den Urmüttern her noch wohl zu behagen, und selbst die

Erwin gab es daher auf, ein Meer von Putz zu
befahren, in welchem ſo wenig perſönliche Geſtaltung
auftauchen wollte, und um ſich von den beſtandenen
Fährlichkeiten zu erholen, machte er längere Ausflüge. Er
hielt ſich bald in einer der ſchön gelegenen Univerſitäts¬
ſtädte auf, um zugleich die berühmteſten Gelehrten kennen
zu lernen und einige gute Studien mitzunehmen; bald
machte er ſich mit den Orten bekannt, wo vorzüglich die
Kunſt ihre Pflege fand, und ſchulte Sinn und Gemüth
an dem feſtlichen Weſen der Künſtler. Auf allen dieſen
Fahrten ſah er ſich in eine veredelte bürgerliche Welt
verſetzt, welche, die beſſeren Güter des Lebens wahrend,
ſich dieſes Lebens mit ungeheucheltem Ernſt erfreute. Hier
wurden die Kenntniſſe und Fähigkeiten mit Fleiß und
Ehren geübt, ſchwärmten und glühten die Frauen wirklich
für das, was ſie für ſchön und gut hielten, pflegte jedes
Mädchen ſeine Lieblingsneigung und baute dem Ideal
ſein eigenes Kapellchen; und weit entfernt, ein aufrichtiges
Geſpräch darüber zu haſſen, wurden ſie nicht müde vom
Guten und Rechten zu hören. Dazu brachte der Wechſel
der Jahreszeiten mannigfache Feſtfreuden, die bei aller
Einfachheit von altpoetiſchem Zauber belebt waren. Die
ſchönen Flußthäler, Berghöhen, Waldlandſchaften wurden
als traute Heimat mit dankbarer Zufriedenheit genoſſen,
wobei ſich die Frauen Tage lang in freier Luft und
guter Laune bewegten; der Waldduft ſchien ihnen von
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[71/0081] Erwin gab es daher auf, ein Meer von Putz zu befahren, in welchem ſo wenig perſönliche Geſtaltung auftauchen wollte, und um ſich von den beſtandenen Fährlichkeiten zu erholen, machte er längere Ausflüge. Er hielt ſich bald in einer der ſchön gelegenen Univerſitäts¬ ſtädte auf, um zugleich die berühmteſten Gelehrten kennen zu lernen und einige gute Studien mitzunehmen; bald machte er ſich mit den Orten bekannt, wo vorzüglich die Kunſt ihre Pflege fand, und ſchulte Sinn und Gemüth an dem feſtlichen Weſen der Künſtler. Auf allen dieſen Fahrten ſah er ſich in eine veredelte bürgerliche Welt verſetzt, welche, die beſſeren Güter des Lebens wahrend, ſich dieſes Lebens mit ungeheucheltem Ernſt erfreute. Hier wurden die Kenntniſſe und Fähigkeiten mit Fleiß und Ehren geübt, ſchwärmten und glühten die Frauen wirklich für das, was ſie für ſchön und gut hielten, pflegte jedes Mädchen ſeine Lieblingsneigung und baute dem Ideal ſein eigenes Kapellchen; und weit entfernt, ein aufrichtiges Geſpräch darüber zu haſſen, wurden ſie nicht müde vom Guten und Rechten zu hören. Dazu brachte der Wechſel der Jahreszeiten mannigfache Feſtfreuden, die bei aller Einfachheit von altpoetiſchem Zauber belebt waren. Die ſchönen Flußthäler, Berghöhen, Waldlandſchaften wurden als traute Heimat mit dankbarer Zufriedenheit genoſſen, wobei ſich die Frauen Tage lang in freier Luft und guter Laune bewegten; der Waldduft ſchien ihnen von den Urmüttern her noch wohl zu behagen, und ſelbſt die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/81>, abgerufen am 26.11.2024.