schaft die Erlaubniß erhalten, die Eltern in dem mehrere Stunden entfernten Heimatdorfe zu besuchen, bei der Rückkehr aber die Fahrgelegenheit verfehlt und den Weg in die Nacht hinein zu Fuß zurücklegen müssen. Allein auch die Herrschaft war auf eine Landpartie gegangen und noch nicht zurück, und da Regine keinen Hausschlüssel bei sich führte und überhaupt Niemand im Gebäude auf die Glocke zu hören schien, die sie schon mehrmals gezogen, so fand sie sich ausgeschlossen und mußte die Ankunft anderer Hausbewohner abwarten. So fiel sie ihrer Gestalt wegen den jungen Taugenichtsen auf, die nicht säumten, sie zu umringen und mit mehr oder weniger feinen Artigkeiten zu belagern. Der eine nannte sie Liebchen, der andere Schätzchen, dieser Gretchen, jener Mariechen; dann brachten sie ihr ein halblautes Ständchen, und was solcher Kin¬ dereien mehr waren; sowie aber Einer die Stufen hinan sprang, um eine Liebkosung zu wagen, lehnte sie den Angriff mit einer ruhigen Bewegung des freien Armes ab; denn mit der anderen Hand hielt sie den von ihr selbst blankgefegten Thürknopf gefaßt. Wenn nun Einer nach dem Andern die Stufen rückwärts hinab stolperte, so lachte der Haufen mit großem Geräusch, ohne daß die Bedrängte darüber ein Vergnügen empfand; vielmehr stieg sie jetzt selbst hinunter und suchte zu entkommen. Aber die Studenten riefen: Die Löwin will hinaus! Laßt sie nicht durchbrechen! und schlossen den Weg nur um so dichter.
ſchaft die Erlaubniß erhalten, die Eltern in dem mehrere Stunden entfernten Heimatdorfe zu beſuchen, bei der Rückkehr aber die Fahrgelegenheit verfehlt und den Weg in die Nacht hinein zu Fuß zurücklegen müſſen. Allein auch die Herrſchaft war auf eine Landpartie gegangen und noch nicht zurück, und da Regine keinen Hausſchlüſſel bei ſich führte und überhaupt Niemand im Gebäude auf die Glocke zu hören ſchien, die ſie ſchon mehrmals gezogen, ſo fand ſie ſich ausgeſchloſſen und mußte die Ankunft anderer Hausbewohner abwarten. So fiel ſie ihrer Geſtalt wegen den jungen Taugenichtſen auf, die nicht ſäumten, ſie zu umringen und mit mehr oder weniger feinen Artigkeiten zu belagern. Der eine nannte ſie Liebchen, der andere Schätzchen, dieſer Gretchen, jener Mariechen; dann brachten ſie ihr ein halblautes Ständchen, und was ſolcher Kin¬ dereien mehr waren; ſowie aber Einer die Stufen hinan ſprang, um eine Liebkoſung zu wagen, lehnte ſie den Angriff mit einer ruhigen Bewegung des freien Armes ab; denn mit der anderen Hand hielt ſie den von ihr ſelbſt blankgefegten Thürknopf gefaßt. Wenn nun Einer nach dem Andern die Stufen rückwärts hinab ſtolperte, ſo lachte der Haufen mit großem Geräuſch, ohne daß die Bedrängte darüber ein Vergnügen empfand; vielmehr ſtieg ſie jetzt ſelbſt hinunter und ſuchte zu entkommen. Aber die Studenten riefen: Die Löwin will hinaus! Laßt ſie nicht durchbrechen! und ſchloſſen den Weg nur um ſo dichter.
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ſchaft die Erlaubniß erhalten, die Eltern in dem mehrere
Stunden entfernten Heimatdorfe zu beſuchen, bei der
Rückkehr aber die Fahrgelegenheit verfehlt und den Weg in
die Nacht hinein zu Fuß zurücklegen müſſen. Allein auch die
Herrſchaft war auf eine Landpartie gegangen und noch
nicht zurück, und da Regine keinen Hausſchlüſſel bei ſich
führte und überhaupt Niemand im Gebäude auf die Glocke
zu hören ſchien, die ſie ſchon mehrmals gezogen, ſo fand
ſie ſich ausgeſchloſſen und mußte die Ankunft anderer
Hausbewohner abwarten. So fiel ſie ihrer Geſtalt wegen
den jungen Taugenichtſen auf, die nicht ſäumten, ſie zu
umringen und mit mehr oder weniger feinen Artigkeiten
zu belagern. Der eine nannte ſie Liebchen, der andere
Schätzchen, dieſer Gretchen, jener Mariechen; dann brachten
ſie ihr ein halblautes Ständchen, und was ſolcher Kin¬
dereien mehr waren; ſowie aber Einer die Stufen hinan
ſprang, um eine Liebkoſung zu wagen, lehnte ſie den
Angriff mit einer ruhigen Bewegung des freien Armes
ab; denn mit der anderen Hand hielt ſie den von ihr
ſelbſt blankgefegten Thürknopf gefaßt. Wenn nun Einer
nach dem Andern die Stufen rückwärts hinab ſtolperte,
ſo lachte der Haufen mit großem Geräuſch, ohne daß die
Bedrängte darüber ein Vergnügen empfand; vielmehr ſtieg
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/86>, abgerufen am 25.11.2024.
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