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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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an sich, auch wenn sie anderwärts verpflichtet waren.
Das verspürte er in wenigen Tagen, als er am Fuße
der Treppe einen baumlangen Reitercorporal bei ihr stehen
sah, der auf den schweren Pallasch gestützt mit Reginen
sprach, während sie nachdenklich an einem Postamente des
Geländers lehnte. Erwin merkte im Vorübergehen, daß
ein leichtes Roth über ihr Gesicht ging, und schloß daraus
auf eine Liebschaft. Das aber störte ihm so alle Ruhe,
daß er nach einer halben Stunde das Haus wieder ver¬
ließ, obgleich niemand mehr im Flur stand, und dermaßen
in steter Bewegung den Tag zubrachte. Vergeblich sagte
er sich, es sei ja der prächtigen Person nur von Herzen
zu gönnen, wenn sie einen so stattlichen Liebsten besitze,
der auch ein ernster Mann zu sein schien, wie er in der
Schnelligkeit gesehen. Der Umstand, daß es in der Stadt
keine Garnison gab und der Reitersmann also von aus¬
wärts gekommen sein mußte, ließ das Bestehen eines
ernstlichen Liebesverhältnisses noch gewisser erscheinen.
Aber nur um so trauriger ward ihm zu Muth. Umsonst
fragte er sich, ob er denn etwas Besseres wisse für das
Mädchen, ob er sie selbst heimführen würde? Er wußte
keine Antwort darauf. Dafür wurde die schöne Gestalt
durch das Licht einer Liebesneigung, die er sich recht
innig und tief, so recht im Tone deutscher Volkslieder
vorstellte, von einem romantischen Schimmer übergossen,
der die erwachende Trauer des Ausgeschlossenseins noch
dunkler machte. Denn an einem offenen Paradiesgärtlein

an ſich, auch wenn ſie anderwärts verpflichtet waren.
Das verſpürte er in wenigen Tagen, als er am Fuße
der Treppe einen baumlangen Reitercorporal bei ihr ſtehen
ſah, der auf den ſchweren Pallaſch geſtützt mit Reginen
ſprach, während ſie nachdenklich an einem Poſtamente des
Geländers lehnte. Erwin merkte im Vorübergehen, daß
ein leichtes Roth über ihr Geſicht ging, und ſchloß daraus
auf eine Liebſchaft. Das aber ſtörte ihm ſo alle Ruhe,
daß er nach einer halben Stunde das Haus wieder ver¬
ließ, obgleich niemand mehr im Flur ſtand, und dermaßen
in ſteter Bewegung den Tag zubrachte. Vergeblich ſagte
er ſich, es ſei ja der prächtigen Perſon nur von Herzen
zu gönnen, wenn ſie einen ſo ſtattlichen Liebſten beſitze,
der auch ein ernſter Mann zu ſein ſchien, wie er in der
Schnelligkeit geſehen. Der Umſtand, daß es in der Stadt
keine Garniſon gab und der Reitersmann alſo von aus¬
wärts gekommen ſein mußte, ließ das Beſtehen eines
ernſtlichen Liebesverhältniſſes noch gewiſſer erſcheinen.
Aber nur um ſo trauriger ward ihm zu Muth. Umſonſt
fragte er ſich, ob er denn etwas Beſſeres wiſſe für das
Mädchen, ob er ſie ſelbſt heimführen würde? Er wußte
keine Antwort darauf. Dafür wurde die ſchöne Geſtalt
durch das Licht einer Liebesneigung, die er ſich recht
innig und tief, ſo recht im Tone deutſcher Volkslieder
vorſtellte, von einem romantiſchen Schimmer übergoſſen,
der die erwachende Trauer des Ausgeſchloſſenſeins noch
dunkler machte. Denn an einem offenen Paradiesgärtlein

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[78/0088] an ſich, auch wenn ſie anderwärts verpflichtet waren. Das verſpürte er in wenigen Tagen, als er am Fuße der Treppe einen baumlangen Reitercorporal bei ihr ſtehen ſah, der auf den ſchweren Pallaſch geſtützt mit Reginen ſprach, während ſie nachdenklich an einem Poſtamente des Geländers lehnte. Erwin merkte im Vorübergehen, daß ein leichtes Roth über ihr Geſicht ging, und ſchloß daraus auf eine Liebſchaft. Das aber ſtörte ihm ſo alle Ruhe, daß er nach einer halben Stunde das Haus wieder ver¬ ließ, obgleich niemand mehr im Flur ſtand, und dermaßen in ſteter Bewegung den Tag zubrachte. Vergeblich ſagte er ſich, es ſei ja der prächtigen Perſon nur von Herzen zu gönnen, wenn ſie einen ſo ſtattlichen Liebſten beſitze, der auch ein ernſter Mann zu ſein ſchien, wie er in der Schnelligkeit geſehen. Der Umſtand, daß es in der Stadt keine Garniſon gab und der Reitersmann alſo von aus¬ wärts gekommen ſein mußte, ließ das Beſtehen eines ernſtlichen Liebesverhältniſſes noch gewiſſer erſcheinen. Aber nur um ſo trauriger ward ihm zu Muth. Umſonſt fragte er ſich, ob er denn etwas Beſſeres wiſſe für das Mädchen, ob er ſie ſelbſt heimführen würde? Er wußte keine Antwort darauf. Dafür wurde die ſchöne Geſtalt durch das Licht einer Liebesneigung, die er ſich recht innig und tief, ſo recht im Tone deutſcher Volkslieder vorſtellte, von einem romantiſchen Schimmer übergoſſen, der die erwachende Trauer des Ausgeſchloſſenſeins noch dunkler machte. Denn an einem offenen Paradiesgärtlein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/88>, abgerufen am 25.11.2024.