lassen, daß er entweder selbst etwas Geld zu entlehnen trachten, oder aber zur Regine gehen solle, daß diese helfe. Natürlich konnte der Soldat Nichts thun, denn der hatte genug zu schaffen, mit kümmerlichen Entlehnungen seinen Sold zu ergänzen. Darum war er zur Schwester herübergekommen, und diese empfand zur übrigen Sorge den Verdruß über die fruchtlosen Reisekosten des Bruders, so klein sie waren, weil sie im Augenblicke auch nicht helfen konnte. Sie hatte darum der Mutter geschrieben, man müsse unter allen Umständen einige Wochen Frist zu erlangen suchen; vorher dürfe sie ihre Herrschaft nicht schon wieder um Geld angehen. Auch hatte sie bei diesen Aussichten bereits seit dem heutigen Vormittage auf den kühnen Plan verzichtet, sich im Herbst einmal ein wollenes Kleid machen zu lassen, wie andere ordentliche Mädchen es im Winter trugen.
Als Erwin sie zum ersten Mal so viel hintereinander sprechen hörte, wurde er von der weichen Beweglichkeit ihrer Stimme angenehm erregt, da die traulichen Worte, je mehr sie in Fluß geriethen, immer mehr einen der schönen Gestalt entsprechenden Wohlklang annahmen, den vielleicht noch Niemand im Hause kannte. Aber noch wärmer erregte ihn der Gedanke, daß der Noth des guten Wesens so leicht zu steuern sei; um sie jedoch nicht all¬ fällig sofort zu verscheuchen oder argwöhnisch zu machen, unterließ er für einmal jedes Anerbieten einer Hülfe und begnügte sich mit ein paar leichthin tröstenden Worten:
laſſen, daß er entweder ſelbſt etwas Geld zu entlehnen trachten, oder aber zur Regine gehen ſolle, daß dieſe helfe. Natürlich konnte der Soldat Nichts thun, denn der hatte genug zu ſchaffen, mit kümmerlichen Entlehnungen ſeinen Sold zu ergänzen. Darum war er zur Schweſter herübergekommen, und dieſe empfand zur übrigen Sorge den Verdruß über die fruchtloſen Reiſekoſten des Bruders, ſo klein ſie waren, weil ſie im Augenblicke auch nicht helfen konnte. Sie hatte darum der Mutter geſchrieben, man müſſe unter allen Umſtänden einige Wochen Friſt zu erlangen ſuchen; vorher dürfe ſie ihre Herrſchaft nicht ſchon wieder um Geld angehen. Auch hatte ſie bei dieſen Ausſichten bereits ſeit dem heutigen Vormittage auf den kühnen Plan verzichtet, ſich im Herbſt einmal ein wollenes Kleid machen zu laſſen, wie andere ordentliche Mädchen es im Winter trugen.
Als Erwin ſie zum erſten Mal ſo viel hintereinander ſprechen hörte, wurde er von der weichen Beweglichkeit ihrer Stimme angenehm erregt, da die traulichen Worte, je mehr ſie in Fluß geriethen, immer mehr einen der ſchönen Geſtalt entſprechenden Wohlklang annahmen, den vielleicht noch Niemand im Hauſe kannte. Aber noch wärmer erregte ihn der Gedanke, daß der Noth des guten Weſens ſo leicht zu ſteuern ſei; um ſie jedoch nicht all¬ fällig ſofort zu verſcheuchen oder argwöhniſch zu machen, unterließ er für einmal jedes Anerbieten einer Hülfe und begnügte ſich mit ein paar leichthin tröſtenden Worten:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0094"n="84"/>
laſſen, daß er entweder ſelbſt etwas Geld zu entlehnen<lb/>
trachten, oder aber zur Regine gehen ſolle, daß dieſe<lb/>
helfe. Natürlich konnte der Soldat Nichts thun, denn<lb/>
der hatte genug zu ſchaffen, mit kümmerlichen Entlehnungen<lb/>ſeinen Sold zu ergänzen. Darum war er zur Schweſter<lb/>
herübergekommen, und dieſe empfand zur übrigen Sorge<lb/>
den Verdruß über die fruchtloſen Reiſekoſten des Bruders,<lb/>ſo klein ſie waren, weil ſie im Augenblicke auch nicht<lb/>
helfen konnte. Sie hatte darum der Mutter geſchrieben,<lb/>
man müſſe unter allen Umſtänden einige Wochen Friſt<lb/>
zu erlangen ſuchen; vorher dürfe ſie ihre Herrſchaft nicht<lb/>ſchon wieder um Geld angehen. Auch hatte ſie bei dieſen<lb/>
Ausſichten bereits ſeit dem heutigen Vormittage auf den<lb/>
kühnen Plan verzichtet, ſich im Herbſt einmal ein wollenes<lb/>
Kleid machen zu laſſen, wie andere ordentliche Mädchen<lb/>
es im Winter trugen.</p><lb/><p>Als Erwin ſie zum erſten Mal ſo viel hintereinander<lb/>ſprechen hörte, wurde er von der weichen Beweglichkeit<lb/>
ihrer Stimme angenehm erregt, da die traulichen Worte,<lb/>
je mehr ſie in Fluß geriethen, immer mehr einen der<lb/>ſchönen Geſtalt entſprechenden Wohlklang annahmen, den<lb/>
vielleicht noch Niemand im Hauſe kannte. Aber noch<lb/>
wärmer erregte ihn der Gedanke, daß der Noth des guten<lb/>
Weſens ſo leicht zu ſteuern ſei; um ſie jedoch nicht all¬<lb/>
fällig ſofort zu verſcheuchen oder argwöhniſch zu machen,<lb/>
unterließ er für einmal jedes Anerbieten einer Hülfe und<lb/>
begnügte ſich mit ein paar leichthin tröſtenden Worten:<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[84/0094]
laſſen, daß er entweder ſelbſt etwas Geld zu entlehnen
trachten, oder aber zur Regine gehen ſolle, daß dieſe
helfe. Natürlich konnte der Soldat Nichts thun, denn
der hatte genug zu ſchaffen, mit kümmerlichen Entlehnungen
ſeinen Sold zu ergänzen. Darum war er zur Schweſter
herübergekommen, und dieſe empfand zur übrigen Sorge
den Verdruß über die fruchtloſen Reiſekoſten des Bruders,
ſo klein ſie waren, weil ſie im Augenblicke auch nicht
helfen konnte. Sie hatte darum der Mutter geſchrieben,
man müſſe unter allen Umſtänden einige Wochen Friſt
zu erlangen ſuchen; vorher dürfe ſie ihre Herrſchaft nicht
ſchon wieder um Geld angehen. Auch hatte ſie bei dieſen
Ausſichten bereits ſeit dem heutigen Vormittage auf den
kühnen Plan verzichtet, ſich im Herbſt einmal ein wollenes
Kleid machen zu laſſen, wie andere ordentliche Mädchen
es im Winter trugen.
Als Erwin ſie zum erſten Mal ſo viel hintereinander
ſprechen hörte, wurde er von der weichen Beweglichkeit
ihrer Stimme angenehm erregt, da die traulichen Worte,
je mehr ſie in Fluß geriethen, immer mehr einen der
ſchönen Geſtalt entſprechenden Wohlklang annahmen, den
vielleicht noch Niemand im Hauſe kannte. Aber noch
wärmer erregte ihn der Gedanke, daß der Noth des guten
Weſens ſo leicht zu ſteuern ſei; um ſie jedoch nicht all¬
fällig ſofort zu verſcheuchen oder argwöhniſch zu machen,
unterließ er für einmal jedes Anerbieten einer Hülfe und
begnügte ſich mit ein paar leichthin tröſtenden Worten:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/94>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.