Noch eine andere Art des Küssens ist, wenn man die Lippen nicht sorgfältig schließt, sondern den offenen Mund auf seinen Gegenstand hinhält. Da wird beym einziehen der Luft die Haut des Ande- deren wie mit einem Schrepfköpfchen aufgezogen, und wenn man sie auf einmal wieder fahren läßt, so bleibt nicht selten ein naßer Fleck zurück. Allein dieses ist vielmehr ein eckelhafter Schmatz, als ein Kuß, und sein Laut ist eben so unangenehm als dumpf, und wässrig.
§. 89.
Alle diese Betrachtungen, die ich über die Sprachwerkzeuge angestellt, und bisher angeführt habe, überzeugen mich, daß der Urheber der Natur seinen Plan immer auf die erste und vorzüglichste Erforderniß seines lebenden Geschöpfes, nämlich sei- ne Nahrung, von der hauptsächlich seine Erhaltung abhangt, angelegt hat, daß folglich alle diese Werk- zeuge, die wir Sprachwerkzeuge nennen, nicht um der Sprache willen da sind, sondern nur eben da- rum, weil sie einmal da waren, zufällig und nach
und
Von den Werkzeugen der Sprache.
Noch eine andere Art des Kuͤſſens iſt, wenn man die Lippen nicht ſorgfaͤltig ſchließt, ſondern den offenen Mund auf ſeinen Gegenſtand hinhaͤlt. Da wird beym einziehen der Luft die Haut des Ande- deren wie mit einem Schrepfkoͤpfchen aufgezogen, und wenn man ſie auf einmal wieder fahren laͤßt, ſo bleibt nicht ſelten ein naßer Fleck zuruͤck. Allein dieſes iſt vielmehr ein eckelhafter Schmatz, als ein Kuß, und ſein Laut iſt eben ſo unangenehm als dumpf, und waͤſſrig.
§. 89.
Alle dieſe Betrachtungen, die ich uͤber die Sprachwerkzeuge angeſtellt, und bisher angefuͤhrt habe, uͤberzeugen mich, daß der Urheber der Natur ſeinen Plan immer auf die erſte und vorzuͤglichſte Erforderniß ſeines lebenden Geſchoͤpfes, naͤmlich ſei- ne Nahrung, von der hauptſaͤchlich ſeine Erhaltung abhangt, angelegt hat, daß folglich alle dieſe Werk- zeuge, die wir Sprachwerkzeuge nennen, nicht um der Sprache willen da ſind, ſondern nur eben da- rum, weil ſie einmal da waren, zufaͤllig und nach
und
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Von den Werkzeugen der Sprache.
Noch eine andere Art des Kuͤſſens iſt, wenn
man die Lippen nicht ſorgfaͤltig ſchließt, ſondern den
offenen Mund auf ſeinen Gegenſtand hinhaͤlt. Da
wird beym einziehen der Luft die Haut des Ande-
deren wie mit einem Schrepfkoͤpfchen aufgezogen,
und wenn man ſie auf einmal wieder fahren laͤßt,
ſo bleibt nicht ſelten ein naßer Fleck zuruͤck. Allein
dieſes iſt vielmehr ein eckelhafter Schmatz, als ein
Kuß, und ſein Laut iſt eben ſo unangenehm als
dumpf, und waͤſſrig.
§. 89.
Alle dieſe Betrachtungen, die ich uͤber die
Sprachwerkzeuge angeſtellt, und bisher angefuͤhrt
habe, uͤberzeugen mich, daß der Urheber der Natur
ſeinen Plan immer auf die erſte und vorzuͤglichſte
Erforderniß ſeines lebenden Geſchoͤpfes, naͤmlich ſei-
ne Nahrung, von der hauptſaͤchlich ſeine Erhaltung
abhangt, angelegt hat, daß folglich alle dieſe Werk-
zeuge, die wir Sprachwerkzeuge nennen, nicht um
der Sprache willen da ſind, ſondern nur eben da-
rum, weil ſie einmal da waren, zufaͤllig und nach
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Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kempelen_maschine_1791/219>, abgerufen am 23.11.2024.
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