Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

"schämte mich vor der Müllerin, so gut sie auch war,
"bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl-
"knecht verdingen, aber auch dieses widerstand meiner
"Hoffart. So kam ich nach Westhausen, wo ich über
"Nacht blieb. Ich schlief nicht, die Gewissensangst trieb
"mich fort; so erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge-
"danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde,
"dachte ich, die Müllerin am meisten ärgern."

Auf die Frage, ob er denn den Selbstmord nicht für eine
Sünde gehalten habe, antwortete er:

"Das ist mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein
"anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein
"Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum
"auf, so niedrig, daß die Fußspitzen noch die Erde be-
"rührten. Es war gleich geschehen, allein hernach that
"es mir wehe, daß ich nicht sollte begraben werden. Als
"man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und
"verschnitten."

Nach dieser Erzählung ging der Dämon wieder nieder;
die Patientin war sehr matt und fiel bald in einen magne-
tischen Schlaf, aus dem sie nur wieder erwachte, um in
den dämonischen Zustand zurückzufallen, in welchem der
Dämon, nachdem die früheren Aussagen ihm vorgelesen
waren, fortfuhr:

"Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin
"ungetreu geworden sey, verneint; es ist aber nicht wahr,
"ich habe gelogen. Ich habe mich geschämt, auch diese
"Untreue zu gestehen, weil die Müllerin so gar gut ge-
"wesen ist. Der Ehebruch ist aber auch eine große Sünde
"und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch
"nichts, der Schutzgeist findet sie alle doch heraus, darum
"will ich auch diese Sünde bekennen, so wie ich sie auch
"von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf-
"gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft schweben
"müssen; doch habe ich erst vor 16 Wochen in den Körper
"der Frau, die ich so sehr geplagt, eindringen können;

„ſchämte mich vor der Müllerin, ſo gut ſie auch war,
„bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl-
„knecht verdingen, aber auch dieſes widerſtand meiner
„Hoffart. So kam ich nach Weſthauſen, wo ich über
„Nacht blieb. Ich ſchlief nicht, die Gewiſſensangſt trieb
„mich fort; ſo erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge-
„danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde,
„dachte ich, die Müllerin am meiſten ärgern.“

Auf die Frage, ob er denn den Selbſtmord nicht für eine
Sünde gehalten habe, antwortete er:

„Das iſt mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein
„anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein
„Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum
„auf, ſo niedrig, daß die Fußſpitzen noch die Erde be-
„rührten. Es war gleich geſchehen, allein hernach that
„es mir wehe, daß ich nicht ſollte begraben werden. Als
„man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und
„verſchnitten.“

Nach dieſer Erzählung ging der Dämon wieder nieder;
die Patientin war ſehr matt und fiel bald in einen magne-
tiſchen Schlaf, aus dem ſie nur wieder erwachte, um in
den dämoniſchen Zuſtand zurückzufallen, in welchem der
Dämon, nachdem die früheren Ausſagen ihm vorgeleſen
waren, fortfuhr:

„Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin
„ungetreu geworden ſey, verneint; es iſt aber nicht wahr,
„ich habe gelogen. Ich habe mich geſchämt, auch dieſe
„Untreue zu geſtehen, weil die Müllerin ſo gar gut ge-
„weſen iſt. Der Ehebruch iſt aber auch eine große Sünde
„und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch
„nichts, der Schutzgeiſt findet ſie alle doch heraus, darum
„will ich auch dieſe Sünde bekennen, ſo wie ich ſie auch
„von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf-
„gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft ſchweben
„müſſen; doch habe ich erſt vor 16 Wochen in den Körper
„der Frau, die ich ſo ſehr geplagt, eindringen können;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0107" n="93"/>
&#x201E;&#x017F;chämte mich vor der Müllerin, &#x017F;o gut &#x017F;ie auch war,<lb/>
&#x201E;bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl-<lb/>
&#x201E;knecht verdingen, aber auch die&#x017F;es wider&#x017F;tand meiner<lb/>
&#x201E;Hoffart. So kam ich nach We&#x017F;thau&#x017F;en, wo ich über<lb/>
&#x201E;Nacht blieb. Ich &#x017F;chlief nicht, die Gewi&#x017F;&#x017F;ensang&#x017F;t trieb<lb/>
&#x201E;mich fort; &#x017F;o erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge-<lb/>
&#x201E;danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde,<lb/>
&#x201E;dachte ich, die Müllerin am mei&#x017F;ten ärgern.&#x201C;</hi> </p><lb/>
        <p>Auf die Frage, ob er denn den Selb&#x017F;tmord nicht für eine<lb/>
Sünde gehalten habe, antwortete er:</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">&#x201E;Das i&#x017F;t mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein<lb/>
&#x201E;anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein<lb/>
&#x201E;Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum<lb/>
&#x201E;auf, &#x017F;o niedrig, daß die Fuß&#x017F;pitzen noch die Erde be-<lb/>
&#x201E;rührten. Es war gleich ge&#x017F;chehen, allein hernach that<lb/>
&#x201E;es mir wehe, daß ich nicht &#x017F;ollte begraben werden. Als<lb/>
&#x201E;man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und<lb/>
&#x201E;ver&#x017F;chnitten.&#x201C;</hi> </p><lb/>
        <p>Nach die&#x017F;er Erzählung ging der Dämon wieder nieder;<lb/>
die Patientin war &#x017F;ehr matt und fiel bald in einen magne-<lb/>
ti&#x017F;chen Schlaf, aus dem &#x017F;ie nur wieder erwachte, um in<lb/>
den dämoni&#x017F;chen Zu&#x017F;tand zurückzufallen, in welchem der<lb/>
Dämon, nachdem die früheren Aus&#x017F;agen ihm vorgele&#x017F;en<lb/>
waren, fortfuhr:</p><lb/>
        <p> <hi rendition="#et">&#x201E;Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin<lb/>
&#x201E;ungetreu geworden &#x017F;ey, verneint; es i&#x017F;t aber nicht wahr,<lb/>
&#x201E;ich habe gelogen. Ich habe mich ge&#x017F;chämt, auch die&#x017F;e<lb/>
&#x201E;Untreue zu ge&#x017F;tehen, weil die Müllerin &#x017F;o gar gut ge-<lb/>
&#x201E;we&#x017F;en i&#x017F;t. Der Ehebruch i&#x017F;t aber auch eine große Sünde<lb/>
&#x201E;und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch<lb/>
&#x201E;nichts, der Schutzgei&#x017F;t findet &#x017F;ie alle doch heraus, darum<lb/>
&#x201E;will ich auch die&#x017F;e Sünde bekennen, &#x017F;o wie ich &#x017F;ie auch<lb/>
&#x201E;von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf-<lb/>
&#x201E;gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft &#x017F;chweben<lb/>
&#x201E;&#x017F;&#x017F;en; doch habe ich er&#x017F;t vor 16 Wochen in den Körper<lb/>
&#x201E;der Frau, die ich &#x017F;o &#x017F;ehr geplagt, eindringen können;<lb/></hi> </p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[93/0107] „ſchämte mich vor der Müllerin, ſo gut ſie auch war, „bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl- „knecht verdingen, aber auch dieſes widerſtand meiner „Hoffart. So kam ich nach Weſthauſen, wo ich über „Nacht blieb. Ich ſchlief nicht, die Gewiſſensangſt trieb „mich fort; ſo erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge- „danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde, „dachte ich, die Müllerin am meiſten ärgern.“ Auf die Frage, ob er denn den Selbſtmord nicht für eine Sünde gehalten habe, antwortete er: „Das iſt mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein „anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein „Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum „auf, ſo niedrig, daß die Fußſpitzen noch die Erde be- „rührten. Es war gleich geſchehen, allein hernach that „es mir wehe, daß ich nicht ſollte begraben werden. Als „man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und „verſchnitten.“ Nach dieſer Erzählung ging der Dämon wieder nieder; die Patientin war ſehr matt und fiel bald in einen magne- tiſchen Schlaf, aus dem ſie nur wieder erwachte, um in den dämoniſchen Zuſtand zurückzufallen, in welchem der Dämon, nachdem die früheren Ausſagen ihm vorgeleſen waren, fortfuhr: „Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin „ungetreu geworden ſey, verneint; es iſt aber nicht wahr, „ich habe gelogen. Ich habe mich geſchämt, auch dieſe „Untreue zu geſtehen, weil die Müllerin ſo gar gut ge- „weſen iſt. Der Ehebruch iſt aber auch eine große Sünde „und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch „nichts, der Schutzgeiſt findet ſie alle doch heraus, darum „will ich auch dieſe Sünde bekennen, ſo wie ich ſie auch „von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf- „gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft ſchweben „müſſen; doch habe ich erſt vor 16 Wochen in den Körper „der Frau, die ich ſo ſehr geplagt, eindringen können;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/107
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/107>, abgerufen am 21.11.2024.