Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.
"schämte mich vor der Müllerin, so gut sie auch war, Auf die Frage, ob er denn den Selbstmord nicht für eine "Das ist mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein Nach dieser Erzählung ging der Dämon wieder nieder; "Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin
„ſchämte mich vor der Müllerin, ſo gut ſie auch war, Auf die Frage, ob er denn den Selbſtmord nicht für eine „Das iſt mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein Nach dieſer Erzählung ging der Dämon wieder nieder; „Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p> <hi rendition="#et"><pb facs="#f0107" n="93"/> „ſchämte mich vor der Müllerin, ſo gut ſie auch war,<lb/> „bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl-<lb/> „knecht verdingen, aber auch dieſes widerſtand meiner<lb/> „Hoffart. So kam ich nach Weſthauſen, wo ich über<lb/> „Nacht blieb. Ich ſchlief nicht, die Gewiſſensangſt trieb<lb/> „mich fort; ſo erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge-<lb/> „danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde,<lb/> „dachte ich, die Müllerin am meiſten ärgern.“</hi> </p><lb/> <p>Auf die Frage, ob er denn den Selbſtmord nicht für eine<lb/> Sünde gehalten habe, antwortete er:</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">„Das iſt mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein<lb/> „anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein<lb/> „Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum<lb/> „auf, ſo niedrig, daß die Fußſpitzen noch die Erde be-<lb/> „rührten. Es war gleich geſchehen, allein hernach that<lb/> „es mir wehe, daß ich nicht ſollte begraben werden. Als<lb/> „man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und<lb/> „verſchnitten.“</hi> </p><lb/> <p>Nach dieſer Erzählung ging der Dämon wieder nieder;<lb/> die Patientin war ſehr matt und fiel bald in einen magne-<lb/> tiſchen Schlaf, aus dem ſie nur wieder erwachte, um in<lb/> den dämoniſchen Zuſtand zurückzufallen, in welchem der<lb/> Dämon, nachdem die früheren Ausſagen ihm vorgeleſen<lb/> waren, fortfuhr:</p><lb/> <p> <hi rendition="#et">„Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin<lb/> „ungetreu geworden ſey, verneint; es iſt aber nicht wahr,<lb/> „ich habe gelogen. Ich habe mich geſchämt, auch dieſe<lb/> „Untreue zu geſtehen, weil die Müllerin ſo gar gut ge-<lb/> „weſen iſt. Der Ehebruch iſt aber auch eine große Sünde<lb/> „und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch<lb/> „nichts, der Schutzgeiſt findet ſie alle doch heraus, darum<lb/> „will ich auch dieſe Sünde bekennen, ſo wie ich ſie auch<lb/> „von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf-<lb/> „gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft ſchweben<lb/> „müſſen; doch habe ich erſt vor 16 Wochen in den Körper<lb/> „der Frau, die ich ſo ſehr geplagt, eindringen können;<lb/></hi> </p> </div> </body> </text> </TEI> [93/0107]
„ſchämte mich vor der Müllerin, ſo gut ſie auch war,
„bald wollte ich mich in der Fremde wieder als Mühl-
„knecht verdingen, aber auch dieſes widerſtand meiner
„Hoffart. So kam ich nach Weſthauſen, wo ich über
„Nacht blieb. Ich ſchlief nicht, die Gewiſſensangſt trieb
„mich fort; ſo erreichte ich ein Wäldchen, wo der Ge-
„danke mich überfiel mich aufzuhängen; das werde,
„dachte ich, die Müllerin am meiſten ärgern.“
Auf die Frage, ob er denn den Selbſtmord nicht für eine
Sünde gehalten habe, antwortete er:
„Das iſt mir gar nicht eingefallen, ich dachte an kein
„anderes Leben und glaubte an keines. Ich that mir ein
„Sacktuch um den Hals und hängte mich an einen Baum
„auf, ſo niedrig, daß die Fußſpitzen noch die Erde be-
„rührten. Es war gleich geſchehen, allein hernach that
„es mir wehe, daß ich nicht ſollte begraben werden. Als
„man mich gefunden hatte, wurde ich fortgefahren und
„verſchnitten.“
Nach dieſer Erzählung ging der Dämon wieder nieder;
die Patientin war ſehr matt und fiel bald in einen magne-
tiſchen Schlaf, aus dem ſie nur wieder erwachte, um in
den dämoniſchen Zuſtand zurückzufallen, in welchem der
Dämon, nachdem die früheren Ausſagen ihm vorgeleſen
waren, fortfuhr:
„Vorhin habe ich die Frage, ob ich nicht auch der Müllerin
„ungetreu geworden ſey, verneint; es iſt aber nicht wahr,
„ich habe gelogen. Ich habe mich geſchämt, auch dieſe
„Untreue zu geſtehen, weil die Müllerin ſo gar gut ge-
„weſen iſt. Der Ehebruch iſt aber auch eine große Sünde
„und ich darf keine Sünde verhehlen. Es hülfe mir auch
„nichts, der Schutzgeiſt findet ſie alle doch heraus, darum
„will ich auch dieſe Sünde bekennen, ſo wie ich ſie auch
„von Herzen bereue. Seit ich mich im Jahr 1818 auf-
„gehängt gehabt, habe ich als Wespe in der Luft ſchweben
„müſſen; doch habe ich erſt vor 16 Wochen in den Körper
„der Frau, die ich ſo ſehr geplagt, eindringen können;
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