Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

sich nicht nur aus Thatsachen, sondern auch aus theoreti-
schen Gründen gebildet. Wir geben sie auf der Stelle auf,
sobald man uns beweist, daß beydes falsch und irrig ist.
Aber wir geben sie nicht auf, wenn blos das fade ratio-
nalistische Geschwätz oder die vornehme Ignoranz, die sich
Aufklärung nennt, sich einer Autorität in dieser Sache an-
maßen und über die Thatsachen erheben will.



Beleuchtung der Einwürfe gegen Besitzung
und Zauber
.

Ueber die theoretischen Sätze von Besitzung und Zauber
werden alle diejenigen lächeln, die sich weise dünken, d. h.
solche, die sich in den Vernunft- und Naturzusammenhang
so hineingelebt haben, daß sie schon über die Möglichkeit,
daß es anders seyn könne, einen Schauder bekommen. Sie
haben an ihrer Wissenschaft eine Art Streichmaas, womit
sie alles das, was über den Scheffel geht, welchen ihr
Geist zu tragen im Stande ist, wegstreichen. Sie verste-
hen mit Hegel die große Kunst, wie der Geist das Ge-
schehene ungeschehen, oder das so Geschehene anders machen
könne. Sie sind es, welche vor dem Gedanken einer Un-
natur erschrecken, dafür aber den Menschen immer auf sanf-
ten Fittichen in den Himmel hinüberwiegen und ihn ganz
wohlfeilen Kaufs in die Seligkeit einführen. Das große
Gegengewicht, das der Fürst der Welt und der Finsterniß
an der Wage unserer Schicksale hat, ahnen und erkennen
sie nicht, und brauchen somit auch keine Waffen dagegen.
Den Himmel hätten sie wohl gerne, aber ohne die Mühe
des Kampfes, der Hölle zu entgehen. Das Eine ist jedoch
nur durchs andere möglich. Das Licht des Himmels tritt
nur am Schatten der Hölle ganz hervor, und das Evan-
gelium, welches die höchste Proportion des Geistes in sich

ſich nicht nur aus Thatſachen, ſondern auch aus theoreti-
ſchen Gründen gebildet. Wir geben ſie auf der Stelle auf,
ſobald man uns beweist, daß beydes falſch und irrig iſt.
Aber wir geben ſie nicht auf, wenn blos das fade ratio-
naliſtiſche Geſchwätz oder die vornehme Ignoranz, die ſich
Aufklärung nennt, ſich einer Autorität in dieſer Sache an-
maßen und über die Thatſachen erheben will.



Beleuchtung der Einwuͤrfe gegen Beſitzung
und Zauber
.

Ueber die theoretiſchen Sätze von Beſitzung und Zauber
werden alle diejenigen lächeln, die ſich weiſe dünken, d. h.
ſolche, die ſich in den Vernunft- und Naturzuſammenhang
ſo hineingelebt haben, daß ſie ſchon über die Möglichkeit,
daß es anders ſeyn könne, einen Schauder bekommen. Sie
haben an ihrer Wiſſenſchaft eine Art Streichmaas, womit
ſie alles das, was über den Scheffel geht, welchen ihr
Geiſt zu tragen im Stande iſt, wegſtreichen. Sie verſte-
hen mit Hegel die große Kunſt, wie der Geiſt das Ge-
ſchehene ungeſchehen, oder das ſo Geſchehene anders machen
könne. Sie ſind es, welche vor dem Gedanken einer Un-
natur erſchrecken, dafür aber den Menſchen immer auf ſanf-
ten Fittichen in den Himmel hinüberwiegen und ihn ganz
wohlfeilen Kaufs in die Seligkeit einführen. Das große
Gegengewicht, das der Fürſt der Welt und der Finſterniß
an der Wage unſerer Schickſale hat, ahnen und erkennen
ſie nicht, und brauchen ſomit auch keine Waffen dagegen.
Den Himmel hätten ſie wohl gerne, aber ohne die Mühe
des Kampfes, der Hölle zu entgehen. Das Eine iſt jedoch
nur durchs andere möglich. Das Licht des Himmels tritt
nur am Schatten der Hölle ganz hervor, und das Evan-
gelium, welches die höchſte Proportion des Geiſtes in ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0183" n="169"/>
&#x017F;ich nicht nur aus That&#x017F;achen, &#x017F;ondern auch aus theoreti-<lb/>
&#x017F;chen Gründen gebildet. Wir geben &#x017F;ie auf der Stelle auf,<lb/>
&#x017F;obald man uns beweist, daß beydes fal&#x017F;ch und irrig i&#x017F;t.<lb/>
Aber wir geben &#x017F;ie nicht auf, wenn blos das fade ratio-<lb/>
nali&#x017F;ti&#x017F;che Ge&#x017F;chwätz oder die vornehme Ignoranz, die &#x017F;ich<lb/>
Aufklärung nennt, &#x017F;ich einer Autorität in die&#x017F;er Sache an-<lb/>
maßen und über die That&#x017F;achen erheben will.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Beleuchtung der Einwu&#x0364;rfe gegen Be&#x017F;itzung<lb/>
und Zauber</hi>.</head><lb/>
          <p>Ueber die theoreti&#x017F;chen Sätze von Be&#x017F;itzung und Zauber<lb/>
werden alle diejenigen lächeln, die &#x017F;ich wei&#x017F;e dünken, d. h.<lb/>
&#x017F;olche, die &#x017F;ich in den Vernunft- und Naturzu&#x017F;ammenhang<lb/>
&#x017F;o hineingelebt haben, daß &#x017F;ie &#x017F;chon über die Möglichkeit,<lb/>
daß es anders &#x017F;eyn könne, einen Schauder bekommen. Sie<lb/>
haben an ihrer Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft eine Art Streichmaas, womit<lb/>
&#x017F;ie alles das, was über den Scheffel geht, welchen ihr<lb/>
Gei&#x017F;t zu tragen im Stande i&#x017F;t, weg&#x017F;treichen. Sie ver&#x017F;te-<lb/>
hen mit <hi rendition="#g">Hegel</hi> die große Kun&#x017F;t, wie der Gei&#x017F;t das Ge-<lb/>
&#x017F;chehene unge&#x017F;chehen, oder das &#x017F;o Ge&#x017F;chehene anders machen<lb/>
könne. Sie &#x017F;ind es, welche vor dem Gedanken einer Un-<lb/>
natur er&#x017F;chrecken, dafür aber den Men&#x017F;chen immer auf &#x017F;anf-<lb/>
ten Fittichen in den Himmel hinüberwiegen und ihn ganz<lb/>
wohlfeilen Kaufs in die Seligkeit einführen. Das große<lb/>
Gegengewicht, das der Für&#x017F;t der Welt und der Fin&#x017F;terniß<lb/>
an der Wage un&#x017F;erer Schick&#x017F;ale hat, ahnen und erkennen<lb/>
&#x017F;ie nicht, und brauchen &#x017F;omit auch keine Waffen dagegen.<lb/>
Den Himmel hätten &#x017F;ie wohl gerne, aber ohne die Mühe<lb/>
des Kampfes, der Hölle zu entgehen. Das Eine i&#x017F;t jedoch<lb/>
nur durchs andere möglich. Das Licht des Himmels tritt<lb/>
nur am Schatten der Hölle ganz hervor, und das Evan-<lb/>
gelium, welches die höch&#x017F;te Proportion des Gei&#x017F;tes in &#x017F;ich<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0183] ſich nicht nur aus Thatſachen, ſondern auch aus theoreti- ſchen Gründen gebildet. Wir geben ſie auf der Stelle auf, ſobald man uns beweist, daß beydes falſch und irrig iſt. Aber wir geben ſie nicht auf, wenn blos das fade ratio- naliſtiſche Geſchwätz oder die vornehme Ignoranz, die ſich Aufklärung nennt, ſich einer Autorität in dieſer Sache an- maßen und über die Thatſachen erheben will. Beleuchtung der Einwuͤrfe gegen Beſitzung und Zauber. Ueber die theoretiſchen Sätze von Beſitzung und Zauber werden alle diejenigen lächeln, die ſich weiſe dünken, d. h. ſolche, die ſich in den Vernunft- und Naturzuſammenhang ſo hineingelebt haben, daß ſie ſchon über die Möglichkeit, daß es anders ſeyn könne, einen Schauder bekommen. Sie haben an ihrer Wiſſenſchaft eine Art Streichmaas, womit ſie alles das, was über den Scheffel geht, welchen ihr Geiſt zu tragen im Stande iſt, wegſtreichen. Sie verſte- hen mit Hegel die große Kunſt, wie der Geiſt das Ge- ſchehene ungeſchehen, oder das ſo Geſchehene anders machen könne. Sie ſind es, welche vor dem Gedanken einer Un- natur erſchrecken, dafür aber den Menſchen immer auf ſanf- ten Fittichen in den Himmel hinüberwiegen und ihn ganz wohlfeilen Kaufs in die Seligkeit einführen. Das große Gegengewicht, das der Fürſt der Welt und der Finſterniß an der Wage unſerer Schickſale hat, ahnen und erkennen ſie nicht, und brauchen ſomit auch keine Waffen dagegen. Den Himmel hätten ſie wohl gerne, aber ohne die Mühe des Kampfes, der Hölle zu entgehen. Das Eine iſt jedoch nur durchs andere möglich. Das Licht des Himmels tritt nur am Schatten der Hölle ganz hervor, und das Evan- gelium, welches die höchſte Proportion des Geiſtes in ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/183
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/183>, abgerufen am 23.11.2024.