Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

vollführt, insofern die Seele zum niedern Geisterreich ge-
hört, noch manche den Sinnen vernehmliche Bewegung.

Das Heraustreten von Seele und Geist setzt aber immer
einen Zustand voraus, in welchem das Band beyder mit
dem Leib viel loser geworden ist, als im natürlich wachen-
den Leben.

Dieser Zustand ist auf doppelte Weise möglich. Die mensch-
liche Natur wird in Beziehung des organischen Leibes an
ihren beyden Gränzen oder Extremen in gleiche Wirkungen
versetzt. An der positiven Gränze, wo sie in die Verklä-
rung übergeht, wie es im magnetischen Leben der Fall ist,
lösen sich Seele und Geist weit leichter vom Leib, als im
natürlich-wachenden Zustand. Dieß ist aber auch der gleiche
Fall an der negativen Gränze, wo Seele und Geist in
das Scheusal der Unnatur übergehen. Die festeste Verei-
nigung des Leibes mit Seele und Geist ist nur da, wo die
Glieder jener Proportionen, nämlich der physischen, orga-
nischen und moralischen Ordnung, mit einander harmonisch
vereinigt sind, d. h. wo sie am weitesten von den Extre-
men abstehen.

Alles dieß erwogen, liegt die Annahme nicht ferne, daß
der Teufel solche Menschen, die sich ihm mit Seele und
Leib ergeben, in solche Zustände versetzen könne, daß sie
nicht nur unabhängig vom Körper wirken, son-
dern auch, da er durch seine atomistische Kraft
ihrem Willen irgend einen Scheinkörper anbil-
den kann, unter verschiedenen und ungewöhn-
lichen Formen, die jedoch nur Blendwerke sind,
erscheinen können
.

Die Existenz des Zaubers wurde bisher nur als eine hy-
pothetische Möglichkeit angenommen, unerachtet wir eine
solche Masse beglaubigter Thatsachen vor uns liegen ha-
ben, daß es schwer wird, an seiner factischen Wirklichkeit
zu zweifeln. Uebrigens mag sich über solche Dinge jeder
nach Belieben seine Ueberzeugung bilden. Die unsrige hat

vollführt, inſofern die Seele zum niedern Geiſterreich ge-
hört, noch manche den Sinnen vernehmliche Bewegung.

Das Heraustreten von Seele und Geiſt ſetzt aber immer
einen Zuſtand voraus, in welchem das Band beyder mit
dem Leib viel loſer geworden iſt, als im natürlich wachen-
den Leben.

Dieſer Zuſtand iſt auf doppelte Weiſe möglich. Die menſch-
liche Natur wird in Beziehung des organiſchen Leibes an
ihren beyden Gränzen oder Extremen in gleiche Wirkungen
verſetzt. An der poſitiven Gränze, wo ſie in die Verklä-
rung übergeht, wie es im magnetiſchen Leben der Fall iſt,
löſen ſich Seele und Geiſt weit leichter vom Leib, als im
natürlich-wachenden Zuſtand. Dieß iſt aber auch der gleiche
Fall an der negativen Gränze, wo Seele und Geiſt in
das Scheuſal der Unnatur übergehen. Die feſteſte Verei-
nigung des Leibes mit Seele und Geiſt iſt nur da, wo die
Glieder jener Proportionen, nämlich der phyſiſchen, orga-
niſchen und moraliſchen Ordnung, mit einander harmoniſch
vereinigt ſind, d. h. wo ſie am weiteſten von den Extre-
men abſtehen.

Alles dieß erwogen, liegt die Annahme nicht ferne, daß
der Teufel ſolche Menſchen, die ſich ihm mit Seele und
Leib ergeben, in ſolche Zuſtände verſetzen könne, daß ſie
nicht nur unabhängig vom Körper wirken, ſon-
dern auch, da er durch ſeine atomiſtiſche Kraft
ihrem Willen irgend einen Scheinkörper anbil-
den kann, unter verſchiedenen und ungewöhn-
lichen Formen, die jedoch nur Blendwerke ſind,
erſcheinen können
.

Die Exiſtenz des Zaubers wurde bisher nur als eine hy-
pothetiſche Möglichkeit angenommen, unerachtet wir eine
ſolche Maſſe beglaubigter Thatſachen vor uns liegen ha-
ben, daß es ſchwer wird, an ſeiner factiſchen Wirklichkeit
zu zweifeln. Uebrigens mag ſich über ſolche Dinge jeder
nach Belieben ſeine Ueberzeugung bilden. Die unſrige hat

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0182" n="168"/>
vollführt, in&#x017F;ofern die Seele zum niedern Gei&#x017F;terreich ge-<lb/>
hört, noch manche den Sinnen vernehmliche Bewegung.</p><lb/>
          <p>Das Heraustreten von Seele und Gei&#x017F;t &#x017F;etzt aber immer<lb/>
einen Zu&#x017F;tand voraus, in welchem das Band beyder mit<lb/>
dem Leib viel lo&#x017F;er geworden i&#x017F;t, als im natürlich wachen-<lb/>
den Leben.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;er Zu&#x017F;tand i&#x017F;t auf doppelte Wei&#x017F;e möglich. Die men&#x017F;ch-<lb/>
liche Natur wird in Beziehung des organi&#x017F;chen Leibes an<lb/>
ihren beyden Gränzen oder Extremen in gleiche Wirkungen<lb/>
ver&#x017F;etzt. An der po&#x017F;itiven Gränze, wo &#x017F;ie in die Verklä-<lb/>
rung übergeht, wie es im magneti&#x017F;chen Leben der Fall i&#x017F;t,<lb/>&#x017F;en &#x017F;ich Seele und Gei&#x017F;t weit leichter vom Leib, als im<lb/>
natürlich-wachenden Zu&#x017F;tand. Dieß i&#x017F;t aber auch der gleiche<lb/>
Fall an der negativen Gränze, wo Seele und Gei&#x017F;t in<lb/>
das Scheu&#x017F;al der Unnatur übergehen. Die fe&#x017F;te&#x017F;te Verei-<lb/>
nigung des Leibes mit Seele und Gei&#x017F;t i&#x017F;t nur da, wo die<lb/>
Glieder jener Proportionen, nämlich der phy&#x017F;i&#x017F;chen, orga-<lb/>
ni&#x017F;chen und morali&#x017F;chen Ordnung, mit einander harmoni&#x017F;ch<lb/>
vereinigt &#x017F;ind, d. h. wo &#x017F;ie am weite&#x017F;ten von den Extre-<lb/>
men ab&#x017F;tehen.</p><lb/>
          <p>Alles dieß erwogen, liegt die Annahme nicht ferne, daß<lb/>
der Teufel &#x017F;olche Men&#x017F;chen, die &#x017F;ich ihm mit Seele und<lb/>
Leib ergeben, in &#x017F;olche Zu&#x017F;tände ver&#x017F;etzen könne, <hi rendition="#g">daß &#x017F;ie<lb/>
nicht nur unabhängig vom Körper wirken, &#x017F;on-<lb/>
dern auch, da er durch &#x017F;eine atomi&#x017F;ti&#x017F;che Kraft<lb/>
ihrem Willen irgend einen Scheinkörper anbil-<lb/>
den kann, unter ver&#x017F;chiedenen und ungewöhn-<lb/>
lichen Formen, die jedoch nur Blendwerke &#x017F;ind,<lb/>
er&#x017F;cheinen können</hi>.</p><lb/>
          <p>Die Exi&#x017F;tenz des Zaubers wurde bisher nur als eine hy-<lb/>
potheti&#x017F;che Möglichkeit angenommen, unerachtet wir eine<lb/>
&#x017F;olche Ma&#x017F;&#x017F;e beglaubigter That&#x017F;achen vor uns liegen ha-<lb/>
ben, daß es &#x017F;chwer wird, an &#x017F;einer facti&#x017F;chen Wirklichkeit<lb/>
zu zweifeln. Uebrigens mag &#x017F;ich über &#x017F;olche Dinge jeder<lb/>
nach Belieben &#x017F;eine Ueberzeugung bilden. Die un&#x017F;rige hat<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0182] vollführt, inſofern die Seele zum niedern Geiſterreich ge- hört, noch manche den Sinnen vernehmliche Bewegung. Das Heraustreten von Seele und Geiſt ſetzt aber immer einen Zuſtand voraus, in welchem das Band beyder mit dem Leib viel loſer geworden iſt, als im natürlich wachen- den Leben. Dieſer Zuſtand iſt auf doppelte Weiſe möglich. Die menſch- liche Natur wird in Beziehung des organiſchen Leibes an ihren beyden Gränzen oder Extremen in gleiche Wirkungen verſetzt. An der poſitiven Gränze, wo ſie in die Verklä- rung übergeht, wie es im magnetiſchen Leben der Fall iſt, löſen ſich Seele und Geiſt weit leichter vom Leib, als im natürlich-wachenden Zuſtand. Dieß iſt aber auch der gleiche Fall an der negativen Gränze, wo Seele und Geiſt in das Scheuſal der Unnatur übergehen. Die feſteſte Verei- nigung des Leibes mit Seele und Geiſt iſt nur da, wo die Glieder jener Proportionen, nämlich der phyſiſchen, orga- niſchen und moraliſchen Ordnung, mit einander harmoniſch vereinigt ſind, d. h. wo ſie am weiteſten von den Extre- men abſtehen. Alles dieß erwogen, liegt die Annahme nicht ferne, daß der Teufel ſolche Menſchen, die ſich ihm mit Seele und Leib ergeben, in ſolche Zuſtände verſetzen könne, daß ſie nicht nur unabhängig vom Körper wirken, ſon- dern auch, da er durch ſeine atomiſtiſche Kraft ihrem Willen irgend einen Scheinkörper anbil- den kann, unter verſchiedenen und ungewöhn- lichen Formen, die jedoch nur Blendwerke ſind, erſcheinen können. Die Exiſtenz des Zaubers wurde bisher nur als eine hy- pothetiſche Möglichkeit angenommen, unerachtet wir eine ſolche Maſſe beglaubigter Thatſachen vor uns liegen ha- ben, daß es ſchwer wird, an ſeiner factiſchen Wirklichkeit zu zweifeln. Uebrigens mag ſich über ſolche Dinge jeder nach Belieben ſeine Ueberzeugung bilden. Die unſrige hat

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/182
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/182>, abgerufen am 23.11.2024.